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Lemmel
Das Gasthaus zur Hohen
Malve
Thorner
Gartengedichte,
Königsberger Klopse und andere Köstlichkeiten
von Dr. med. Gerhard Lemmel
mit Aquarellen von
Dr. J. Meyer,
Helene Sembritzki,
Gertrud Weimann,
Gisela Stehle,
Johannes Symanski
Lemmel-Verlag, A-1170 Wien, Handlirschgasse 14
Dr. med. Gerhard Lemmel, geboren am 23. Januar 1902, zu seinem 100.
Geburtstag
Inhalt
Thorner
Gartengedichte
(T)
8 Das Gasthaus zur Hohen
Malwe
(M)
Thorn,
1944
10
Zwiebel-Rhapsodie
Thorn, 1944
11
Der Kirschbaum und die
Stare
(G)
Thorn, 1944
12 Die
Ballade vom
Erdbeermännchen
(G)
Thorn, 17.Juni 1944
15
Das Lied der
Erbse
Thorn,
24.Juni 1944
18
Der Dill
Thorn, undatiert
19
Die böse Frau
Quecke
(G)
Thorn, 30.Juni 1944
20
Aus dem Leben einer
Kartoffel
Thorn, 16.Juli 1944
22
Der Traum des kleinen
Veilchens
(G)
Thorn, 20.Juli 1944
24
Die
Kastanienfamilie
(T,G)
Thorn,
23.Juli 1944
28
Die zwei
Gespielen
(G)
Thorn,
29.Juli 1944
30
Nachtspuk unter dem
Apfelbaum
Thorn, 18.August 1944
Königsberger
Klopse und
andere Gerichte
34
Milchreis mit Zucker und
Zimt
(S)
Schwerin,
Mai 1945
38
Das
Zuckerei
Schwerin, Mai 1945
40
Der
Geburtstagskuchen
Schwerin, Mai 1945
42
Apfelkuchen mit
Schlagsahne
(S)
Schwerin,
Juni 1945
50
Der
Gemüse-Eintopf
(S)
Schwerin, Juni 1945
58
Das
Sauerkraut
Schwerin, Juni 1945
61
Erbsensuppe mit
Speck
Schwerin, Juni 1945
63
Königsberger
Klops
(S)
Schwerin, Juni 1945
Sonne,
Mond und
Sterne
(M)
72
Der kleine Sonnenstrahl
(M) Sandbostel, 1946/1947
75
Der gute alte Mond
(für
Arnold)
(M) Sandbostel,
1946/1947
80
Die
Sterne
(für
Andreas)
(M)
Sandbostel, 1946/1947
84
Tauffest auf der
Wiese
(G) Sandbostel, 1946
88
Das kleine Hälmchen
Gras
Sandbostel, 1946
91
Das
Apfelbrüderpaar
Sandbostel, 1946
93
Gänseblümchens
Luftreise
Sandbostel, 1946
97
Der Pustewind
(M)
Sandbostel, 1946/1947
101 Die
Wolken
(M)
Sandbostel, 1946/1947
104 Das
Tautröpfchen
(für Hans-Dietrich)
(M) Sandbostel, zum 4.11.1946
106 Die
Schneeflocken
(für Ernst-Martin)
(M)
Sandbostel, zum 4.11.1946
108 Der
Kieselstein
(für Ernst-Martin)
(M)
Sandbostel, 1946/1947
Die Illustrationen sind von:
(M) Zahnarzt Dr. J.Meyer, Mitgefangener in
Sandbostel,
1946/1947
(S) Gerhards Schwiegermutter Helene Sembritzki geb.
Symanski, Isenhagen, 1945/1946
(T) seiner Schwester Gertrud Weimann geb. Lemmel,
Lüneburg, um 1985
(G) seiner Nichte Gisela Stehle geb. Weimann, Klosterneuburg,
2001
(J) dem Vater seiner Schwiegermutter, Johannes
Symanski,
Königsberg, 1907
Seite 112 des Buches:
Anhang
(T)
Entstehungsgeschichte
Unser Vater, Dr. med. Gerhard Lemmel, Dozent an der
Universität
Königsberg, war in der Kriegszeit nach Thorn versetzt worden,
wo
wir in einer alten, etwas heruntergekommenen Villa wohnten,
zu
der ein herrlicher großer Garten gehörte, teils
parkartig,
teils Nutzland. Hier wurde Gemüse und Beerenobst angebaut, in
großer Vielfalt, so dass wir selbst in der ärgsten
Kriegszeit keinen Mangel hatten.
Als Chefarzt der Thorner Krankenhäuser war unser Vater so
ausgelastet, dass wir ihn kaum zu sehen bekamen. Aber dennoch fand er
die Zeit, sich selbst um den Garten zu kümmern. Hier erholte
er
sich von seiner beruflichen Belastung, die ständig zunahm, je
mehr
die Zukunftsaussichten sich mit der herannahenden Russenfront
verdüsterten.
Und nun fing unser Vater an, zu dichten. Während der
Gartenarbeit
verdrängte er seine Sorgen und machte Verse. Im Sommer 1944
lag
jeden Sonntag ein neues Gedicht auf dem
Frühstückstisch und
wurde der Familie vorgelesen.
Teils wurden kleine Garten-Ereignisse verarbeitet. Wir Kinder hatten
eigene Beete, die aber eines Tages völlig mit Quecke
überwuchert waren ("Die böse Frau Quecke"). Oder: der
Dill
hatte sich weit versät und auf andere Beete ausgebreitet
("Ätsch, ich bin Herr Dill, ich wachse, wo ich will"). Oder:
die
drei Großmütter (die dritte war die Schwester der
Berliner
Großmutter), die in Thorn zu Besuch waren, um den
Bombenangriffen
in Königsberg und Berlin zu entgehen, saßen mit
ihrem
Strickzeug unter den Kirschbäumen, aus denen sie die Stare
vertrieben ("Der Kirschbaum und die Stare"). Auch unsere
Kastanienallee, in der vorwitzige Kastanien gelegentlich auf die Glatze
unseres Vaters heruntersprangen, wurde verewigt.
Diese Thorner Gartengedichte wurden mit
Schreibmaschinen-Durchschlägen an Verwandte geschickt, die
freilich auch ausgebombt wurden oder flüchten mussten; aber
von
den meisten Gedichten blieb ein Durchschlag erhalten. Ein solches
Original ist hier abgebildet.
Der Stolz unseres Vaters waren die Spargel-Beete (ein
diesbezügliches Gedicht ist nicht erhalten) und die
Erdbeer-Rabatten ("Die Ballade vom Erdbeermännchen"). Noch
1997
fand ich bei unserem inzwischen recht verwahrlosten Thorner Haus ein
Stück des Gartenlandes, das seither ungenutzt brachgelegen
hatte,
mit einem Teppich von verwilderten Erdbeerpflanzen bedeckt: Nach
über 50 Jahren Nachkommen der Erdbeer-Rabatten unseres Vaters.
Das
inzwischen mit Zäunen zerteilte und ungepflegte
Gelände
ließ unser einstiges Kinderparadies, in dem die
Gartengedichte
entstanden waren, nicht mehr erkennen.
Die weiteren Gedichte wurden dann poetischer ("Der Traum des kleinen
Veilchens") und fantasievoller ("Das Gasthaus zur Hohen Malve").
Ende August 1944 kam unser Vater von einer Reise zurück:
bleich
und verstört, denn er hatte das nach zwei Bombenangriffen
völlig verwüstete Königsberg gesehen, unsere
Heimatstadt. Mit diesem Datum endete die Reihe der Thorner
Gartengedichte, die mit dem folgenden Nachwort abgeschlossen wurde.
Nachwort
Sind auch
die Zeiten noch so
schwer
und
drücken die Sorgen noch
so sehr,
lass nur
den Mut nicht sinken.
Denn auch
die allerschwerste Zeit
hält manche Freud für
dich bereit.
Versteh'
sie nur zu finden.
Schau auf das Leben der Natur,
schau auf die kleinen Blumen nur,
sie grünen und sie
blühen.
Und wenn die Zeiten stürmisch
sind,
dann spielen sie noch mit dem Wind
und achten nicht der Mühen.
So sind die Verse hier entstanden,
wie sie sich bei der Arbeit fanden.
Sie sagen euch, ihr kleinen Leut':
Wir haben den Humor behalten
zum Trotz den drohenden Gewalten
in all dem bitterschweren Leid.
Wir lassen uns nicht unterkriegen,
denn einmal werden wir doch siegen,
und dann ist wieder Friedenszeit.
Bis unser Vater wieder Friedenszeit erlebte, dauerte es noch einige
Jahre. Nach abenteuerlicher Flucht entkam er aus Danzig mit einem der
letzten Schiffe, das glücklicherweise nicht versenkt wurde. Er
landete in Schwerin, wo er im Februar 1945 unter dürftigsten
Verhältnissen eine Arztpraxis eröffnete.
Erstaunlicherweise trieb er hier einige der Gartengedichte auf, schrieb
sie wieder ab, ergänzte fehlende aus dem Gedächtnis
("Der
Dill") und schrieb eine Anweisung, wem sie in friedlicheren Zeiten
zuzustellen wären.
In Schwerin, im Mai und Juni 1945, begann er wieder, den materiellen
Nöten zum Trotz, Gedichte zu schreiben. Jetzt handelten sie
von
unerfüllbaren kulinarischen Wunschträumen: "Milchreis
mit
Zucker und Zimt" oder "Königsberger Klops". Durch verschiedene
Boten gelangten diese Gedichte zu seiner Familie, deren Flucht in der
Lüneburger Heide ein glückliches Ende gefunden hatte:
im
Pfarrhaus Isenhagen bei Pastor Gehrcke und seiner Frau Eva, der
Schwester unserer Mutter Vera.
In Isenhagen waren auch unsere drei Großmütter
eingetroffen,
von denen Helene Sembritzki geb. Symanski, die Mutter von Eva und Vera,
die aus Schwerin eintreffenden Gedichte illustrierte, um daraus
Bilderbücher für uns vier Brüder zu machen.
Dabei ist
anzumerken, dass Großmutter Sembritzki beim
"Gemüse-Eintopf"
ihre eigene Familie um 1915 porträtierte: sich selbst mit
ihren
Kindern Eva, Vera und Arnold, in ihrem Königsberger Esszimmer.
Am letzten Tag, bevor Schwerin von den Russen besetzt wurde, entkam
unser Vater mit dem Fahrrad, wurde dann aber in Isenhagen von den
Engländern interniert.
Nach einer schlimmen Hungerzeit erlebte er im Lager Sandbostel bei
Bremervörde, in dem er als Lagerarzt tätig wurde,
eine etwas
erträglichere Gefangenenzeit, in der er wieder zu dichten
begann:
zunächst eine Fortsetzung der Thorner Gartengedichte, dann
aber
romantische Naturbetrachtungen ("Der kleine Sonnenstrahl", "Der gute
alte Mond", "Die Sterne"), in denen auch Träume über
seine
ferne Familie
anklingen und die gelegentlich zu einem friedvollen Schluss
führen:
Mögen
güt'ge Sterne walten
in den
Stürmen unsres
Lebens,
dass den Glauben wir behalten
an den Sinn all unsres Strebens.
Ein Mitgefangener im Lager Sandbostel war der Zahnarzt Dr. J.Meyer, der
viele Gedichte unseres Vaters illustrierte, und zwar mit unglaublich
fein gezeichneten Aquarellen, die hier in ihrer
Originalgröße wiedergegeben sind; ihre Einzelheiten
kommen
oft erst in der Vergrößerung voll zur Geltung. Von
den
ersten Thorner Gartengedichten illustrierte Dr. Meyer auch "Das
Gasthaus zur Hohen Malve", mit dem die vorliegende Sammlung beginnt
–
und, mit der nebenstehenden Vergrößerung, auch
endet.
Die Probleme, nicht nur Nahrungsmittel sondern auch Gedichttexte,
Papier und Aquarellfarben in das Lager gelangen zu lassen, teils unter
dem Talar des Gefangenen-Seelsorgers Pastor Schulze, kann man sich
heute nicht mehr vorstellen.
Viele Jahre später beschäftigte sich Gertrud Weimann,
die
Schwester unseres Vaters, mit weiteren Illustrationen zu den
Gartengedichten, und zuletzt ihre Tochter Gisela Stehle geb. Weimann,
jede in ihrem eigenen Stil. Am Beginn dieses Buches ist im
Inhaltsverzeichnis angegeben, wer welches Gedicht illustriert hat.
Unser Vater war noch 1987 als praktizierender Arzt in
Bremervörde
tätig. Zu seinem 85. Geburtstag wurde eine vorläufige
Fassung
dieses Buches von seiner ältesten Enkelin Monika in wenigen
Exemplaren fotografisch vervielfältigt.
Als Abschluss ist auf der folgenden und letzten Seite ein Aquarell
wiedergegeben, das unser Urgroßvater Johannes Symanski,
Landgerichtsrat in Königsberg, im Jahre 1907 malte:
“unsere“
Ostseeküste bei Rauschen, wo vier Generationen unserer engeren
und
weiteren Familie herrliche Sommerferien verbrachten.
Die Steilküste bei Rauschen malte auch Dr. Meyer in der
Geschichte
vom “Guten alten Mond“ und nochmals am Ende des
Gedichtes von den
“Sternen“. Auch einige andere Landschaftsbilder im
“Guten alten Mond“
sind Erinnerungen an das Samland und an Rauschen.
Hans-Dietrich Lemmel
Wien, 4. November 2001