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Agnes Miegel * 9.3.1879 Königsberg, 
26.10.1964 Bad Salzuflen 

2 Miegelbriefe

Es folgen Kopien von zwei Briefen von Agnes Miegel, 1944 aus Königsberg, und 1955 aus Bad Nenndorf, die sich 2020 im Nachlass von Frau Pastor Eva Gehrcke in Göttingen fanden und von ihrem Neffen Pastor Andreas Lemmel der Agnes-Miegel-Gesellschaft in Bad Nenndorf überlassen wurden..
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Helene Symanski (später verheiratete Sembritzki) und Agnes Miegel, beide aus Königsberg und beide fast gleich alt, lernten sich 1897 in Königsberg in einem Malkurs kennen. Sie pflegten eine Freundschaft bis zu Helenes Tod 1949 in Isenhagen (bei Celle). Zwei Briefe von Agnes Miegel sind hier wiedergegeben.
Helene (Lene) lebte 1944 als Witwe in Berlin, war aber wegen der Berliner Bombengefahr zu ihrer Tochter Vera Lemmel nach Thorn/Westpreußen gezogen. Von dort hatte sie Agnes Miegel in Königsberg zu ihrem 65. Geburtstag gratuliert, worauf Agnes Miegel mit dem folgenden Brief antwortete.
Vera Lemmels Sohn Ernst-Martin, geboren 1935, konnte noch 2002 in Kaliningrad dem russischen Taxifahrer zeigen, wo Agnes Miegel gewohnt hatte.


Bei einem Malkurs 1997 in Königsberg.
Dritte von rechts: Agnes Miegel.
Links: Helene Symanski, später verheiratete Sembritzki
(Foto der Agnes-Miegel-Gesellschaft)

Brief von Agnes Miegel an Helene Sembritzki 3.4.1944

                                                     Kbg.Pr. Hornstr. 7
                                                            3.4.44
Liebe Lene,
Dein lieber Brief freute mich sehr, ich danke Dir für Dein liebes Gedenken - aber Du brauchst nicht das meine so zu beschwören, denn 1. sah ich ja Deine liebe Tochter 
in Thorn, bei der Du jetzt bist u. fand in ihr allerlei von Dir wieder, und 2. denke ich jedes Mal an Dich, wenn ich mal in die Gegend der Neuroßgärter Kirche komm (wo unter Eurem Haus eine Autostraß bergab geht u. am freigelegten Schulhof ein Bunker ist - dafür sind die alten Terrassengärten teilweise fort - ) oder wenn ich am Roßgärter Markt auf meine Umsteigebahn warte u. zu den ehemalig Neujokschen Fenstern heraufkucke.
Nur eines stimmt nicht: mit 17 saß ich noch in der Pension Roch in Weimar, erst mit 18 1/2 od. 19 kam ich in die Malstunde, weil meine gute Mutter annahm, ich müßte malen können, weil Tilda Cornill es konnte, mit der ich auf den Tag gleich alt war!
Ja, ich weiß sogar noch, wie ich Dir auf dem Paradeplatz erstaunliche Phantasiegedichte aufsagte!! und muß jedesmal darüber lachen, wenn ich dort vorbeikomme (wo mal Kastanien standen u. jetzt ein Parkplatz mit ohne Autos ist!)
Grete Schlemm, schon lang i.R., begegne ich zuzeiten in Vorträgen.
Nein, liebe Lene, damals ging ich noch nicht von Kbg. fort, nur hin u. her, einmal als mich Bekannte mit ihrer Tochter, meiner Pensionsschwester, auf eine Gebirgsreise mitnahmen, leider gleich ins Engadin, wofür ich noch viel zu dumm war, daß es in St. Moritz in einer Milchstube unter schwyzerischem Namen Schmand u. Glumse gab u. in Brunnen einen unwirklich süßen "Eierkäse", gefiel mir besser als Morteratsch=Gletscher u. Vierwaldstätter=See. Später war ich 1/4 Jahr mit meiner guten Lise, meiner "Liebsten=Besten" in Paris u. ihr folgte ich auch nach England, leider nicht so sprachbegabt wie sie, aber von ihr liebend weitergedeichselt, genau wie sie mich durch die obersten Schulklassen "befördert" hatte und wir haben unendlich glückliche Zeiten dort verlebt, als sie deutsche Lehrerin am Mädchengymnasium in dem wunderbar schön hoch auf dem Felsufer über Bristol gelegnen Cliffon war und ich "Fräulein" (Pendant zur "Mademoiselle") im Internat, ebenso in den Ferien im Dt. Lehrerinnenheim in London - allwo ich später ganz hinwollte - aber der I. Weltkrieg schon zerstörte all diese Pläne .
Heute sitzt Lise, die lange Jahre in Essen war, in ihrem Haus in Partenkirchen u. ich seit der Erkrankung meiner längst verstorbenen Eltern hier - 25 Jahre im Kneiphof, wo ich mit Vater ein liebes kleines Heim hatte - u. nun seit fast 16 Jahren auf den Hufen, wo ich mich hier gut einlebte. Seit 1918 habe ich eine liebe jüngre Hausgenossin, einen netten Tochterersatz. -
Über "das schöne Weib" habe ich unbändig lachen müssen, denn meine Erfolge waren nicht danach u. nur bei Hausbällen wurde ich wie üblich betanzt, sonst saß ich fest u. sicher, da ich garnicht der damalige Geschmack war, auch trotz über-Mittag-schlafen von 1/2 10 abends geistig auslosch u. nachtwandelte - ich bin bis heute kein Abendmensch geworden u. gähne herzbrechend von 9 Uhr abends an. Ich bin eine rundliche u. immer vergnügte alte Frau geworden. Von den Meinen sind alle längst tot, auch die entfernteren u. die meisten alten Freunde. Ich bin dankbar und froh für jede ruhige Nacht u. jeden Tag in meiner lieben kleinen Wohnung u. über jede Nachricht vom Ergehen noch lebender alter Freundinnen. Darunter auch Friederike Klein, die mit ihrer Schwester in Lichterfelde lebt. In meiner Nähe wohnt hier Marie Rainer, geb. Anker, von unsern andern Malschwestern weiß ich nichts. Tilda Cornill-Decke starb vor 2 Jahren nach längerem Leiden.
So, liebe Lene. Ich grüße Dich herzlich und bitte Dich, Deine liebe und bildhübsche Tochter u. Deinen Schwiegersohn zu grüßen u. bin mit allen guten Wünschen für Dein Befinden Deine
           Agnes Miegel


Inzwischen waren Helene Sembritzki und ihre Tochter Vera Lemmel von Thorn nach Isenhagen geflüchtet, zu Helenes älterer Tochter Eva Gehrcke. Helene und Vera sind gestorben, und Agnes Miegel kommt zu einem Dichtertreffen nach Hankensbüttel (bei Isenhagen).

Brief von Agnes Miegel an Frau Pastor Eva Gehrcke 24.8.1955
                                                 Bad Nenndorf
                                                 Hauptstr. 1a/p
                                                 24.8.1955
Sehr geehrte Frau Pastor!
Für Ihren heute erhaltenen freundlichen Brief  vom 22. d.M. sage ich meinen besten Dank. Aus einem gestern erhaltenen Gruß von Frau Äbtissin von Spitzemberg erfuhr ich schon, daß Sie in Isenhagen wohnen. Ihre liebe jüngere Schwester, Frau Lemmel, sah ich vor vielen Jahren als blühende junge Frau in Thorn, sie schrieb mir auch noch ein paarmal sehr lieb nach Nenndorf und ich war aufrichtig betrübt, als ich ihre Todesanzeige erhielt, und einen rührenden Brief des so schwer betroffenen Wittwers. -
Herzlich danke ich Ihnen für die so freundlich gebotene Gastfreundschaft. Doch in meinem Alter, u. bei meinem oft nicht guten Gesundheitszustand, gehe ich seit Jahren nie mehr - auch nicht bei nahen Freunden - auf Hausbesuch, sondern wohne immer im Hotel. Das wissen auch meine niedersächsischen Dichterfreunde, die mich so freundlich zu ihrem Treffen in Hankensbüttel aufforderten u. haben für mich schon Quartier dort im "Deutschen Haus" bestellt. Sollte es mir irgend möglich sein, so komme ich nach Isenhagen - ich kenne ja nicht das "Programm" der Tagung, bei der ich nur Gast bin, - u. hoffe auf eine heimatliche Erzähl-Stunde.
Mit den besten Grüßen
             Ihre sehr ergebene
                          Agnes Miegel





23.7.2021