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Schriftprobe von Erich Lemmels Manuskript


Die Gründung der Union-Gießerei A.G. in Königsberg und ihr Aufstieg 1828-1928.
Ein beachtliches Industrie-Unternehmen in Königsberg/Pr.

von Erich Lemmel, Mai 1951 (erster Entwurf), ergänzt um 1955


<>An den Befreiungskriegen 1813/1814 hatten auch drei Söhne angesehener Königsberger Kaufleute und eines Arztes teilgenommen. Näheres über diese Zeit und insbesondere über diese Familien ergibt sich aus den selbstbewußten "Kriegserinnerungen aus den Jahren 1813/1814" des Jüngsten dieser drei Kriegsteilnehmer, die auch in der Königsberger Staats- und Universitätsbibliothek vorhanden waren. Diese drei Söhne wurden nach den Kriegen bald Schwäger. Ihre Namen sind Gustav Schnell, Friedrich Laubmeyer und Carl-August Dultz. Zwei Schwestern von Gustav Schnell heirateten Laubmeyer und Dultz, während Schnell sich mit einer Schwester von Dultz vermählte. Schnells hatten zehn Kinder, die beiden anderen Familien je 14 Kinder .
(Siehe die Stammtafeln Dultz, Laubmeyer, Schnell.)

Da diese drei Königsberger Kaufleute in ihren eigenen Unternehmungen durch Umsicht und Fleiß schnell vorwärts kamen und wohlhabend wurden, kamen sie im Jahre 1828 überein, mit erspartem Kapital gemeinsam eine größere Eisengießerei zu gründen. Interessant in der Eingabe an den Minister war die Schilderung des damaligen Zustandes der unglücklichen Provinz Ostpreußen, die von einer schweren Überschwemmung heimgesucht war und in der infolge der vielfachen Unglücksfälle der letzten Zeit eine Verarmung der Gutsbesitzer eingetreten war. Da Getreidebau und Getreidehandel keine genügende Erwerbsmöglichkeit mehr böten, müsse die Gewerbetätigkeit erhöht werden, wozu diese Gießerei bei­tragen sollte. Es gab damals schon in Königsberg die Eisengießerei "Vulkan" von Julius Negenborn, aber um die Gußeisenwaren sowie die anfallenden Eisenkonstruktionen für die Brücken in der Stadt und in Ostpreußen sowie die für die Schiffsbauten in den Häfen herzustellen, dazu gehörte ein größeres Unternehmen, zumal der Weg aus dem Ruhrgebiet oder aus England für die Lieferung solcher Fertig­fabrikate zu weit und kostspielig war.

Mit dem Erwerb des Grundstückes Butterbergstraße Nr. 3 durch Frau Christine Hughes geb. Schnelle, einer Verwandten des Hauptgründers, beginnt die unmittelbare Vorgeschichte der Union-Gießerei.

Da die Union-Gießerei von Anfang an ein Familienunternehmen gewesen ist und diesen Charakter über die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft im Jahre 1881 hinaus bis zu Beginn des jetzigen Jahr­hunderts behalten hatte, ist auch die Geschichte derselben mit zahlreichen familiären Vorgängen und Erinnerungen durchflochten. Nach den Akten des Königsberger Grundbuchamtes hatte bereits Friedrich der Große dem Schutzjuden Daniel Itzig 1764 auf dem Grundstück Butterbergstraße 3 die Genehmigung zur Anlegung einer Silber-Raffinerie erteilt. Die Gießerei umfasste zunächst diese alte Silberschmelze, die durch die Aufstellung eines Kugelofens erweitert wurde. Das Wohnhaus von Charles Hughes, der aus Birmingham stammte, befand sich schon damals auf dem Gelände der Oberlaak. Es ist anzunehmen, dass es sich um das gleiche Wohnhaus handelte, welches später den Direktoren des Werks bis zum Jahre 1924 als Dienstwohnung gedient hat.

In der ersten Zeit ist der Betrieb zweifellos schlecht gegangen, weil in erster Linie gelernte Former überhaupt nicht vorhanden waren, sondern erst herangebildet werden mussten. Am 1. Mai 1828 kam der Mastopie-Contract zwischen den Gründern zustande, welcher als die Gründung der Union-Gießerei anzu­sehen ist. Dieser Vertrag hat sich zum Segen der Gründerfamilien und ihrer Nachkommen bis zum Be­ginn des 1. Weltkrieges ausgewirkt, und nicht nur für diese, sondern auch für die zahlreichen Arbei­ter und Angestellten des Unternehmens. Besonders in der Arbeiterschaft war es geradezu Ehrensache, dass der Sohn immer wieder in die Fabrik, in der sein Vater wirkte bzw gewirkt hatte, eintrat, so dass hier eine gesunde Arbeiter-Tradition, die sich bis zuletzt fortgesetzt hatte, zu verzeichnen war.

Bei dieser Gelegenheit mag die Bemerkung gestattet sein, dass es wohl wenige Werke gegeben haben dürfte, bei denen die verwandtschaftlichen Zusammenhänge so segensreich sich ausgewirkt hatten, wie gerade bei diesem Werk, wo sie bis in die Ostendorff'sche Generation hineinragten.

Die ersten drei Teilhaber waren keineswegs nur die Geldgeber sondern arbeiteten auch mit, wenigstens Laubmeyer und Dultz, welche die kaufmännische Leitung inne hatten, während Schnell von vorn herein sich in der Fabrik nicht betätigt hatte. Schnell hatte schon damals als Kaufmann eine umfangreiche Tätigkeit entwickelt. Mit 22 Jahren gründete er im Jahre 1815 sein eigenes Unternehmen, machte im gleichen Jahre seine Hochzeitsreise nach England, wo er geschäftliche Beziehungen anknüpfte und befestigte. Seine Firma, die den Im- und Export ausländischer Produkte betrieb, erreichte bald eine große Bedeutung, seine Persönlichkeit ein hohes Ansehen, was sich in zahlreichen Ehrenämtern auf allen Gebieten, besonders in Wohlfahrtssachen, ausdrückte. So berief ihn das Vertrauen der Kaufmann­schaft zu vielen Ehrenämtern und schließlich an die Spitze ihrer Korporation als Obervorsteher sowie als Mitglied des Kommerz- und Admiralitäts-Kollegiums, des späteren Handels-Gerichts. Auch die Grün­dung der Handelsschule, der späteren Handelshochschule, ist sein Werk. Die Kaufmannschaft ehrte ihn beim Rücktritt durch die vor ihm noch nie erfolgte Ernennung zum Ehrenmitgliede des Vor­ste­heramtes. Die größte Anerkennung wurde ihm zuteil durch die Berufung in die vorbereitende wie in die definitive Kommission zur Beratung des Allgemeinen Deutschen Handels-Gesetzbuches und des Seerechtes.

1864 starb der Mitbegründer der Union-Gießerei, der Geheime Kommerzienrat Gustav Schnell, ein Mann von seltenen Charaktereigenschaften und Geistesgaben, ein königlicher Kaufmann, der Besten einer, wie die "Hartungsche Zeitung" in ihrem Nachruf ihn nannte. Fast 50 Jahre stand er seiner Firma vor. Sein Gesichtskreis ging weit über seine Geschäftssphäre hinaus. "Die Flaggen seiner Schiffe wehten in beiden Hemisphären und die Lokomotiven, welche aus der mit seinen Schwägern Dultz und Laubmeyer begründeten Union-Gießerei hervorgingen, brausen über die eisernen Bahnen unseres deutschen Vaterlandes" findet sich in einem Nachruf.

Nach seinem Tode ging seine eigene Firma auf seinen Schwiegersohn Adolf Hoffmann unter Änderung des Firmennamens über und hat unter dessen Sohn, Gustav Hoffmann, der im Sommer 1944 starb, als Bindfadenfabrik, Flachs- und Hanfgeschäft bis 1945 bestanden, also genau 140 Jahre.

Für die Union-Gießerei hatte Gustav Schnell sich ganz besondere Verdienste erworben durch den regen Anteil, den er an dem Gedeihen des Werkes nahm und die immerwährende Fürsorge, welche er den Belangen des Werks entgegenbrachte. In der Geschichte der Union-Gießerei nahm er daher einen hervorragenden Platz ein.

Zweifellos haben auch Friedrich Laubmeyer und Carl August Dultz in dem Werk und auch in der Öffent­lichkeit Hervorragendes geleistet, da sie es äußerlich zu hohen Ehren brachten. Aus der Rede des Oberingenieurs Radok anläßlich der Feier der 1000. Lokomotive am 13. März 1899 erfuhr man, dass die Gründer von Gründung der Fabrik bis zum Jahre 1845, also volle 17 Jahre, nicht nur nichts aus den Anlagen herausgezogen hatten, sondern erhebliche Summen hineinsteckten.. Gerade dieses Vorgehen hatte den Grundstein zur späteren Entwicklung der Fabrik gelegt, und man sei den Gründern dafür Dank schuldig, dass sie in reiner Selbstlosigkeit, lediglich um die Fabrik finanziell zu kräftigen, so gehandelt hätten.

1833/1835 wurden die Grundstücke Oberlaak Nr. 2, 3, 4 und 5 erworben. Unter Charles Hughes wurden in erster Linie Eisengußwaren erzeugt. Nach seinem Tode 1839 übernahm Carl Steimmig die Leitung des ganzen Werkes, von 1842 bis 1846 stand Rudolf Steimmig dem Werke vor. Da letzter bereits in den letzten Jahren seiner Geschäftstätigkeit gekränkelt hatte und nicht mehr über die erforderliche Rüstigkeit verfügte, hielt Gustav Schnell nach einem Nachfolger Umschau und fand einen ausgezeich­neten Mann in dem 33-jährigen Maschinenbauer und Eisenfabrikanten Gottfried Ostendorff vom Hofe Ostendorff in der Bauernschaft Wendinghofen bei Kamen in Westfalen, der gerade von einem längeren Aufenthalt in England, Schottland und Irland zurückgekehrt war, wo er den ersten Bau von Schiffs­maschinen und Lokomotiven miterlebt und kennen gelernt hatte. Auf Grund seines Bewerbungsschrei­bens und seiner Vorstellung wurde Ostendorff sofort in die Fabrik eingestellt und 1846 mit der Über­nahme der Leitung als Inspektor betraut. Im darauf folgenden Jahre heiratete Ostendorff die vierte Tochter von Gustav Schnell, so dass ihn nunmehr auch verwandtschaftliche Bande an die Gründer des Werkes fesselten.

Das Verhältnis zwischen den Gründern und dem technischen Leiter Ostendorff war das denkbar beste. Während in den ersten Jahren nach der Gründung das Werk wohl im allgemeinen Mühe gehabt hatte, sich durchzusetzen, immer und immer wieder nur Gelder investiert werden mussten und nennenswerte Verdienste nicht erzielt werden konnten, so folgte nunmehr mit der Berufung Ostendorffs eine Epoche des Aufstieges ein. Jede Woche wurde im Büro eine Sitzung abgehalten. Als Ostendorff eintrat, fand er nur eine kleine Fabrik von ca 100 Arbeitern vor. Dank seiner vorzüglichen Ausbildung in England, die ihm in jungen Jahren einen großen Gesichtskreis verschafft hatte, machte sich Ostendorff gleich an größere Aufgaben heran. Schon zwei Jahre nach seinem Eintritt wurde ihm als Anerkenntnis für die vielfachen Mühen, die er im Interesse der Gesellschaft gehabt hat, von der Direktion der Königs­berger-Stettiner Dampfschiffahrts-Gesellschaft ein wertvolles Geschenk überreicht. Er hatte sich damals bereits an dem Schiff- und Schiffsmaschinen-Bau versucht; in jener Zeit wurden Dampfmaschinen, sogar für Hochdruck, sowie Pumpen mit allem Zubehör gebaut und Mühlen und Chausseewalzen hergestellt.

Schnell und Ostendorff besuchten abwechselnd London und machten dort Bestellungen auf Roheisen. Weitblickend, wie Schnell stets war, forderte er seinen Schwiegersohn auf, in England die Eisenwalz- und Hammerwerke zu besuchen, und riet,das Newcastler Eisen am besten mit schottischem Roheisen zu mischen.

Wie kühn Ostendorff bei der Übernahme neuer Aufträge vorging, geht aus einem Brief von Gustav Schnell 1849 an Ostendorff hervor, in dem Schnell seine schweren Bedenken äußerte, weil Ostendorff von der bisher gebauten größten Dampfmaschine von 40 PS gleich auf eine solche von 150 PS mit Kessel übergehen wollte, für die damalige Zeit ganz gewiß ein großes Wagnis.

Dass die Union-Gießerei mit ihren Fabrikaten schon damals einen erstklassigen Ruf genoss, zeigte ein Kontrakt zwischen dem Königlichen Allgemeinen Kriegsdepartement und der Union-Gießerei zwecks Baues einer 300 PS Dampfmaschine für ein Kriegsschiff nach Ausführung Penn & Sohn, Maudslay in England.

Nach einer Kalkulation eines Sägewerkes bzw einer Sägemühle mit vier Gattern wurde nur mit einem Verdienst von zehn Prozent gerechnet, was in Anbetracht der damals so unsicheren Vorkalkulation als sehr bescheiden angesehen werden muss und auf schlechte Konjunktur schließen ließ.

Ostendorff hatte sich als Leiter der Fabrik in jeder Beziehung bewährt. Er genoss bei den Gründern großes Vertrauen. Als Ausfluss dieses Vertrauens ist der von dem Notar Stellter 1852 geschlossene Vertrag anzusehen, wodurch von den drei Eigentümern der Fabrik gemeinschaftlich mit dem Maschinen­bauer Ostendorff diesem die Vollmacht erteilt wird, im Namen der Firma zu zeichnen. Hiermit war also Ostendorff nunmehr die ausschließliche Leitung des Werkes übertragen worden. Die übrigen Eigen­tümer zogen sich von der direkten Mit-Leitung zurück; denn gleichzeitig wurde Ostendorff als Sozius aufgenommen.

Abgesehen von großen Kessel- und Dampfmaschinen-Anlagen wurden um 1854 in Serien angefertigt: Dreschmaschinen, Rostwerke, Häcksel- und Kartoffelschneidemaschinen, Schrotmühlen, Kleehau- und Getreidequetschmaschinen, Pflüge, Kopierpressen, Grabkreuze, Gitter, Pumpen, Ziegelstreichmaschi­nen, Mühlen aller Art, eiserne Öfen, Walzen aller Art, Lokomobilen, Chausseewalzen, hydraulische Aufzüge, Brennereien, Brauereien, Backöfen für Garnisonbäckereien, Feuerspritzen, Pferdestall­einrichtungen, Meiereianlagen u.s.w.

Um das Jahr 1850 wurde der Bau von Dampfmaschinen aufgenommen. Die erste Lokomotive wurde im Jahre 1851 für den Ostbahnhof geliefert. Pumpmaschinen für Wasserwerke und maschinell angetrie­bene Kreisel für Schöpfwerke der Niederungsgebiete folgten in den 60er Jahren. Die ersten Anlagen wurden in der Provinz Ostpreußen aufgestellt, später trat Russland hinzu, wohin auch eine stattliche Anzahl von Dampfmaschinen und Lokomotiven geliefert wurde. Über 1000 Dampfkessel verschiedenster Bauart sind aus dem Werk hervorgegangen.

Die Aussichten im Schiffbau und besonders im Lokomotivbau hatte Ostendorff auf seinen mehrfachen Reisen nach England klar erkannt. Die Aufnahme des Lokomotivbaus im Jahre 1854 sollte dem Werk erst die Grundlage bringen, auf der es zu großer Blüte gelangte und welche dem Werk bis über den 1. Weltkrieg hinaus eine lohnende und dauernde Beschäftigung gab. Die Union-Gießerei hatte mit als eines der ersten Werke in Deutschland den Lokomotivbau aufgenommen und fast bis zuletzt mit Erfolg betrieben. Dieser Zweig wuchs sich allmählich zur Hauptspezialität aus und bildete die bei weitem wichtigste und umfangreichste Abteilung in den folgenden Jahrzehnten. Nebenbei sei bemerkt, dass Königsberg 1853 zwar durch einen Schienenstrang mit Berlin verbunden wurde; da die 1845 begonnenen Weichselbrücken jedoch erst 1857 fertig wurden, konnte erst von diesem Jahre ab von einer direkten Verbindung mit Berlin auf dem Schienenwege gesprochen werden. Ostendorff hatte also sehr rechtzei­tig die Aufnahme des Lokomotivbaues betrieben. Bis zum Jahre 1928 hatte die Union-Gießerei 2832 Lokomotiven gebaut und abgeliefert. Leider kann hier nicht weiter auf diesen wichtigsten Fabrikations­zweig infolge des beschränkten Raumes eingegangen werden.

Ostendorff wurde älter und suchte nach einer Stütze und Vertretung. Im Jahre 1869 wurde er in Ber­lin von seinem Freund, Geheimrat Borsig, auf einen noch jungen, erst 28 Jahre alten Ingenieur auf­merk­sam gemacht, der sich durch ganz besonderen Fleiß, Interesse und Tüchtigkeit schon damals aus­ge­zeich­net hatte. Ostendorff griff sofort zu, und so kam Oberingenieur Radok zur Union-Gießerei nach Königsberg. Mit dem Eintritt und dem Wirken dieses Mannes beginnt eine neue, wohl die glanz­vollste Entwicklung des Werkes, welche bis zu seinem Tode 1910 und darüber hinaus bis zum 1. Welt­krieg angedauert hatte.

1840 in Böhmen geboren, besuchte er die deutsche Technische Hochschule in Prag, wo er Maschinenbau studierte. Sein erstes bedeutendstes Werk war der Bau des ersten Schwimmdocks in Deutschland, mit dessen Ausführung er von der Firma A. Borsig betraut wurde. In Swinemünde besichtigte der damalige Kronprinz Friedrich von Preußen das Dock und sprach seine Verwunderung über das jugendliche Alter des Bauleiters aus, der damals erst 27 Jahre zählte. Als im Herbst 1869 die letzten Abrechnungen und Verhandlungen über das Dock mit der Admiralität erledigt waren, kam Radok als Oberingenieur zur persönlichen Unterstützung und Vertretung von Ostendorff nach Königsberg.

Im gleichen Jahre erhielt Ostendorff in Anbetracht seiner hervorragenden Leistungen auf dem Gebiete des Maschinenbaues den Charakter als Königlicher Kommerzienrat. Bei dieser Gelegenheit wurde ihm ein Fackelzug gebracht. Damals beschäftigte die Fabrik 625 Arbeiter und 90 Lehrlinge.

Das starke Emporblühen des Werkes erfolgte um die 60er Jahre. Damals besaß die Union-Gießerei auch einige Jahre eine Abteilung für Geschoßfabrikation, und vor allem gingen eine große Anzahl von Baggern aus dem Werk hervor. Als selbständiger Schiffbaumeister fungierte damals schon Fechter, mit dem die Union-Gießerei Jahrzehnte hindurch freundschaftlich zusammen gearbeitet hatte. Seine Werft wurde im Jahre 1912 von der Union-Gießerei übernommen.

Ostendorff und seinem Werk wurden eine ganze Zahl Ehrungen zuteil. U. a. erhielt er selbst für seine Leistungen auf dem Gebiet des Maschinenbaufaches durch die allerhöchste Verleihung die Große Golde­ne Medaille mit seinem Namen (die Borsig nicht bekam, wohl aber sein erster Techniker Fleuringer), wäh­rend dem Werk 1875 vom Russischen Staate eine Medaille für gewerbliche Leistungen verliehen wurde. Die Betrachtungen der "Ostpreußischen Zeitung" vom 21.7.1874 anläßlich der Feier der hundert­sten Lokomotive geben ein Bild der damaligen Zeit in Königsberg: dieses Fest "war nicht nur für die Fabrik sondern auch für unsere Stadt und die ganze Provinz von hoher, weittragender Bedeutung", hieß es.

Ostendorff sorgte für seine Arbeiterschaft vorbildlich in jeder Weise und stand damals mit vielen Maßnahmen wie z. B. Einrichtung eines Speisesaales und einer eigenen Krankenkasse wohl noch verein­zelt da. Schließlich sorgte er noch für das Vergnügen seiner Arbeiter und Angestellten und beförderte sie alljährlich mit Extrazügen an die Küste nach Neuhäuser, wo er sich 1867 eine Strand­villa gebaut hatte, die noch bis 1945 im Besitz seiner Familie geblieben war – eine Einrichtung, die sich bis kurz vor Ausbruch des 1. Weltkrieges in der Union-Gießerei erhalten hatte.

Am 23.9.1876 starb Ostendorff. Das schönste Denkmal setzte ihm Radok in seiner Festrede anlässlich der 1000sten Lokomotive im Jahre 1899, indem er u. a. ausführte: "Wenn wir heute ein Fest feiern wie dieses, dann müssen wir aber in erster Reihe des Mannes gedenken, der das feste Fundament für die Größe der Fabrik gelegt hat, auf dem seine Nachfolger weiter zu bauen hatten: das ist der Kommer­zien­rat Ostendorff. Wie gewaltig sein Einfluß auf die Entwicklung gewesen, ersehen wir daraus, dass nach kaum neun Jahren seiner Tätigkeit im Jahre 1855 bereits die erste Lokomotive die Fabrik ver­lassen konnte. Wie großartig diese Leistung gewesen ist, das versteht nur der, welcher weiß, wie gering die Hilfsmittel der Fabrik damals waren."

1881 erfolgte die Umwandlung der Union-Gießerei in eine Aktiengesellschaft. Die Vorbesprechungen über die Überführung der offenen Handelsgesellschaft in eine andere Gesellschaftsform hatten schon zu Lebzeiten Ostendorffs stattgefunden. Finanzielle Gründe hatten keineswegs vorgelegen, lediglich familiäre, also die Gründerfamilien selbst betreffende Gründe bezüglich der zukünftigen Nachfolge als Eigentümer. Zum Vorstand der Aktiengesellschaft wurde als technischer Direktor Radok und als kauf­männischer Direktor Arthur Ostendorff, der Sohn des Verstorbenen, bestellt; zum Vorsitzenden des Aufsichtsrates wurde erstmalig Rudolf Laubmeyer gewählt. Die Aktien blieben im Familienbesitz, im Aufsichtsrat saßen nur Verwandte, meistens Königsberger Kaufleute. Nach dem frühzeitigen Tode von Arthur Ostendorff im Jahre 1891 wurde Radok alleiniger Direktor der Union-Gießerei.

Der damalige Oberingenieur Pauck entwarf ein Kuppelungsverfahren, eine Anfahr- und Wechsel-Vorrichtung für Lokomotiven, die konstruktiv dermaßen vervollkommt wurde und so günstige Ergebnisse in der Praxis lieferte, dass sie 1894 durch D.R.P.Nr.83386 unter dem Namen der "Dultz'schen Anfahr­vorrichtung" bei den deutschen und auch bei sehr vielen auswärtigen Eisenbahnverwaltungen allgemein eingeführt wurde. Erst mit der Einführung des Heißdampfes wurde diese Vorrichtung entbehrlich, die letzten Stücke wurden im Jahre 1912 geliefert.

Die erste Heißdampflokomotive lieferte die Union schon im August 1902 ab und stand bei der Ein­führung des Heißdampfes somit an führender Stelle. In der Provinz Ostpreußen stammten etwa 60 Prozent aller Dampfkessel aus der Union-Gießerei, auch nach Kowno wurde eine ganze Anzahl Dampf­maschinen nebst Kesseln geliefert. Alle Klappbrücken der Stadt Königsberg sowie die Hansabrücke in Stettin wurden von der Union-Gießerei konstruiert und gebaut, ebenso zahlreiche Eisenbahn- und Straßenbrücken in der Provinz.

Diese Abteilung befasste sich auch mit der Herstellung von Behältern, Kühlschiffen und Lagertanks für Brauereien.

Im Jahre 1910 starb Kommerzienrat Radok. Mit ihm ging der Mann dahin, der die größte Blüte der Union-Gießerei herbeigeführt hatte. Man kann wohl sagen, dass damals die Union-Gießerei als eines der bestfundierten Werke im ganzen Reiche dastand. Diese überaus weitgetriebene Vorsorge wirkte sich nach seinem Tode erst richtig aus, als der Bau der neuen Fabrik in Contienen immer weiter fortschritt. Ohne Inanspruchnahme von Bankkrediten konnte die Neuanlage bei einer Investierung von etwa 14 Millionen Mark lediglich unter Zuhilfenahme der Erhöhung des Aktienkapitals um rund 2 Millionen Mark durchgeführt werden. Radok verband mit übermäßigem Fleiß und großer Gewissenhaftigkeit eine beson­dere Begabung für kaufmännische Fragen. Dass er in der Leitung des Werks sets eine besonders glück­liche Hand gehabt hatte, zeigten seine ungewöhnlichen Erfolge. Er erfreute sich auch in den Kreisen seiner Mitarbeiter allgemeiner Wertschätzung. Das kam so recht bei seinem Begräbnis zum Ausdruck, an dem die Arbeiter und Angestellten vollzählig erschienen waren und sich daher ein Trauerzug von solcher Ausdehnung formierte, wie ihn Königsberg bis dahin und auch später nicht wieder gesehen hatte. Sein fast 40-jähriges Wirken in der Union-Gießerei, davon fast 34 Jahre an leitender Stelle, wird in der Geschichte des Unternehmens stets als die Glanzzeit bezeichnet werden müssen.

Nach seinem Tode übernahmen die Oberingenieure Georg Planck (Lokomotivbau), Paul Fischer (Eisen­konstruktionen und Brückenbau) und Regierungsbaumeister Max Hartung (Neubau in Contienen), ein Schwiegersohn von Radok, die Leitung des Werks. 1920 trat Direktor Fischer aus Gesundheitsrücksich­ten von seinem Posten zurück und nach dem plötzlichen Tod von Direktor Planck zu Anfang des Jahres 1923 übernahm Direktor Hartung allein die Leitung des Unternehmens bis zum Eintritt des Herrn Direktor Dr.ing.eh. Paul Brehm im November 1925. Den Vorsitz im Aufsichtsrat hatten bis 1900 Rudolf Laubmeyer, bis 1902 Adolph Hoffmann, bis 1916 Stadtrat Rudolph Dultz, bis 1921 Max Ruffmann, es folgten bis 1928 Landesrat Otto Küsel, Konsul Bankdirektor Max Schroeder und Bankdirektor Dr. Paul Rozamek.

Auf das neue Werk in Contienen am Pregel sowie auf die dortige Schiffswerft und den Schiffsmaschi­nen­bau kann nur noch kurz eingegangen werden. Schon Ende der 90er Jahre sah sich die Leitung des Werkes aus verschiedenen Gründen veranlaßt, den Neubau desselben und damit eine Verlegung der gesamten Anlage zu erwägen.

Sachverständige aus dem Westen und Mitteldeutschland, die zur Abnahme der fertigen Lokomotiven nach Königsberg kamen, drückten in den 90er Jahren wiederholt ihr großes Erstaunen und ihre Überra­schung darüber aus, wie es möglich war, dass die tadellosen Maschinen in so engen, kleinen und vorsind­flutlichen Montagehallen überhaupt hergestellt werden konnten. Eine Verlegung der Fabrik aus der Innenstadt heraus, möglichst an ein Pregelufer, kam immer dringender infrage. Schließlich wurde auf dem südlichen Pregelufer stromabwärts ein größeres Gelände bei Contienen gefunden und erworben, auf dem die Fabrik 1910/1914 bedeutend vergrößert, einschließlich einer Schiffswerft, neu entstand. Mit Beginn des Krieges war der Umzug beendet.

Erst vom Jahre 1894 setzte eine lebhaftere Schiffsbautätigkeit ein. Die guten Königsberger Beziehun­gen zum russischen Getreidehandel führten zu langjährigen Lieferungen an Dampfern für die südrussi­sche Flotte. Bis zum Eintreten des Zollkrieges im Jahre 1905 wurden insgesamt etwa 40 flachgehende Schlepp- und Passagierdampfer, insbesondere Seitenraddampfer, welche sich auf den südrussischen Flüssen Wolga, Dnjepr, Asow und Dnjestr gut bewährten, erbaut.

Daneben wurden auch für die ostpreußischen und ostdeutschen Gewässer zahlreiche Neubauten ausge­führt, wobei einige schwere Hinterraddampfer für das Odergebiet besonders erwähnenswert sind.

Gute Beziehungen zu den östlichen Stromgebieten brachten regelmäßig jedes Jahr Reparaturarbeiten aus Kowno, Jarborg usw.

Im 1. Weltkrieg gab es schon 1914 Aufträge auf Umbauten von Binnendampfern für Kriegszwecke, auch Schiffs- und Maschinenbau-Reparaturen für die Bootsabteilung "Oberost" und schließlich auch auf Neubauten, vor allem Minensuchboote, für die kaiserliche Marine. In den 20er Jahren wurden u.a. noch Schleppdampfer für den Rhein, Lastenversetzdampfer für das Schiffahrtsamt Cuxhaven und Motor-Frachtschiffe für Hamburg gebaut.

1928 konnte die Union-Gießerei ihr 100-jähriges Bestehen feiern. Zu diesem Jubiläum gab die Direktion eine Schrift "100 Jahre Union-Gießerei Königsberg/Pr." heraus, in der die historische Entwicklung des Werkes von der Gründung bis zum Neubau geschildert wurde.

Als die Wirtschaftslage in Ostpreußen immer schwieriger wurde, beteiligten sich neben der Provinz als Kreditgeber zum ersten Mal im Leben der Union die Deutsche Bank und die Diskontogesellschaft mit Krediten an dem bisherigen Familien-Unternehmen, wodurch auch zwei Bankdirektoren in den Auf­sichts­rat gewählt werden mussten, die nicht den alten Familienkreisen angehörten. Im Jahre 1930 musste die Fabrik in Konkurs gehen, da das Reich damals nur noch ein ähnliches großes Unternehmen in Ostpreußen mit dem erforderlichen Kredit versehen konnte. Die Schiffswerft wurde mit Schichau in Elbing zusammen gelegt. Bei der damaligen abgeschnürten Lage unserer Provinz konnte sich ein so großes Fabrikunternehmen, was von Kohlen und Eisen abhängig war, auf die Dauer nicht allein halten. Nach der Fabrik A. Schichau A.G., früher in Elbing, die sich inzwischen "als Flüchtling" am Südwestende des Neuen Hafens in Bremerhaven neu etablierte, ist die Union-Gießerei die größte Maschinenfabrik in Ostpreußen gewesen.

Um an einigen bekannten Königsberger Familiennamen zu zeigen, in welchem Maße die drei Gründerge­schlech­ter im 19. Jahrhundert und darüber hinaus in unserer ehemaligen Hauptstadt zusammen gehan­gen haben, sei es gestattet, noch folgende verwandtschaftlichen Beziehungen zu erwähnen: eine Toch­ter von Gustav Schnell war mit Landgerichtsrat Ruffmann verheiratet; aus dieser Ehe sind u.a. Max Ruffmann, Inhaber der Getreide-Kommissions-Handlung C.L. Willert auf der Klapperwiese hervor­ge­gangen, ferner Richard Ruffmann, Inhaber der Holzgroßhandlung R. Sandmann auf dem Weidendamm, und Reichsgerichtsrat Eduard Ruffmann, der mit einer Kusine aus der Laubmeyerschen Familie verhei­ra­tet war, während sein Bruder Max eine Kusine Schnell aus Quednau zur Frau hatte. Eine andere Toch­ter von Gustav Schnell war mit Carl Steimmig verehelicht, deren Tochter mit Gerichtsrat Assmann in Danzig verheiratet war, aus deren Ehe der weit über unsere deutschen Grenzen hinaus bekannte, 1950 in Oldenburg verstorbene letzte Universitätsprofessor der Inneren Medizin der Albertina, Dr. Herbert Assmann, entsprossen war, der wieder eine rechte Kusine Steimmig zur Frau hatte. Gustav Hoffmann, der oben schon einmal erwähnt wurde, war verheiratet mit einer Tochter vom alten Kom­merzienrat Heumann, dem Fabrikbesitzer der Waggonfabrik Steinfurt, während seine Schwester mit Professor Dr. Hilbert, dem langjährigen Internisten am Städtischen Krankenhaus, verbunden war. Schließlich, die jüngste Tochter von Gustav Schnell, war mit Buchhändler Gräfe von der Buchhandlung Gräfe und Unzer verheiratet. Der jüngste Sohn von Gottfried Ostendorff lebte in den 20er Jahren als Regierungs-Vizepräsident in Königsberg. Stadtrat Dultz war langjähriger Vorsitzender im Aufsichtsrat der Union-Gießerei. Justizrat Dr. Krahmer und Max Steinfurt hatten beide geborene Laubmeyers zur Frau. Georg Laubmeyer gehörte Schreitlacken im Samland, Benno Dultz Fabiansfelde bei Pr. Eylau, dessen Schwager Rauschning das Gut Tankitten im Samland gehörte.


Gottfried Ostendorff wurde im Jahr 1863 Witwer und heiratete 1866 in zweiter Ehe die jüngste Tochter des Fabrikbesitzers Julius Negenborn von der Eisengießerei "Vulkan" und seiner Ehefrau geb. Douglas. Der Vater dieser Douglas, Karl Douglas, war derjenige, welcher sich als erster unserer Vor­fahren in Neuhäuser festgesetzt hatte. Der Grund dazu war: er pachtete 1802 das "Bernsteinregal" von Danzig bis Memel, d. h. er hatte in diesem ganzen Küstenstreifen die Nutznießung des gefundenen und gefischten Bernsteins. An verschiedenen Stellen der Küste ließ er Häuser für seine Aufseher bauen, die teilweise noch bis 1945 erhalten waren. So stand ein solches Haus – sie waren einander bau­lich alle sehr ähnlich – unmittelbar im Gut Alt-Neuhäuser. Ein anderes in der Nähe von Groß Dirschkeim. Das Bernsteinwerk in Palmnicken ist erst in den 40er Jahren in Angriff genommen. Negenborns ältester Sohn wurde Besitzer des Gutes Schäferei bei Neuhäuser und regte seinen Schwager Ostendorff an, sich im Sommer in Neuhäuser niederzulassen, wo sich damals nach Eröffnung der Eisenbahn nach Pillau viele angesehene Königsberger Bürger ihre Sommerhäuser bauten. Die älteste Tochter von Julius Negen­born heiratete den Königsberger Sanitätsrat Dr. Soteck, dessen älteste Tochter später den ältesten Sohn von Gottfried Ostendorff, Arthur Ostendorff, heiratete, während seine zweite Tochter die Ehe mit dem Besitzer des Blutgerichts David Schindelmeisser einging. Diese alten Königsberger Familien, die alle mit der Union-Gießerei sich verwandtschaftlich verbunden fühlten und waren, lebten ebenso einfach und bescheiden, wie die meisten Ostpreußen, und pflegten ihre verwandtschaftliche Geselligkeit im Winter in der Stadt und im Sommer an der See. Ihre Einfachheit und Bescheidenheit trugen dazu bei, dass das Kapital der Gesellschafter der Fabrik, was sich mit den Jahren verschie­dent­lich vergrößert hatte, immer in ihrem Besitz blieb und sehr selten und auch dann nur wieder in andere verwandtschaftliche Hände kam zum Segen der Union-Gießerei.

Ende


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zu den Stammtafeln  Dultz,  Laubmeyer,  Schnell

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