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Zu seinem 450. Todestag 1993:
Beiträge
zu Copernicus und seiner Verwandtschaft
von Hans-Dietrich Lemmel
Ursprünglich gedruckt in der Zeitschrift "Genealogie" Heft
1-2/1993.
Seither geringfügig ergänzt und mit
zusätzlichen
Abbildungen versehen.
Ausführliche Fassung mit Quellenangaben. Es gibt auch eine Kurzfassung ohne Quellenangaben.
1993 jähren sich zum 450. Mal der Tod von Nicolaus Copernicus
und
der Erstdruck seines Hauptwerkes in Nürnberg.
Aus einem neuen umfangreichen genealogischen Werk von Dorothea
Weichbrodt über die Bürger Danzigs und aus einigen
anderen
Quellen ergeben sich Ergänzungen zu den Ahnen von Nicolaus
Copernicus, die deutsche Kaufmannsfamilien im Raum Breslau - Krakau -
Thorn - Danzig betreffen. Eine Bildtafel im Heilsberger
Schloß,
die angeblich Niklas Koppernigk, den Vater des Astronomen, nebst vier
Familienwappen zeigt, wird besprochen. Einige teils amüsante
Marginalien zur Copernicus-Verwandtschaft und zu seiner Nichte und
Haushälterin Anna Schilling werden vorgetragen. Den
Abschluß
bildet eine kurze Darstellung der politischen Verhältnisse
Altpreußens, die der heutigen Generation kaum noch bekannt
sind.
Da der Autor mehrfach von einer Schwester der Mutter von Copernicus
abstammt, wurde bewußt eine Darstellung aus einer
persönlichen Sicht gewählt.
*****
Nicolaus Copernicus, * Thorn 19.2.1473, † Frauenburg
24.5.1543. Vor 450
Jahren wurde sein Hauptwerk "De Revolutionibus Orbium Coelestium", das
die Erde von der gedachten Mitte des Weltalls in eine Umlaufbahn um die
Sonne versetzte, in Nürnberg gedruckt; das erste Exemplar
erreichte Frauenburg am Todestage seines Autors.
Der Titel ist nicht leicht zu übersetzen. Er lautet nicht:
"Von
den Umläufen der Himmelskörper", wie man ihn oft
übersetzt findet [1]; denn die Wörter für
Körper
oder Lauf oder Rotation wurden nicht benutzt. Wörtlich
heißt
es: "Von den Umwälzungen der himmlischen Kreise". Dabei kann
das
Wort Orbis=Kreis alles bezeichnen, was am Himmel rund ist: die Scheiben
der Sonne und des Vollmonds, die Bahnen der Planeten und die der
Fixsterne um den Polarstern, Himmelsäquator oder Tierkreis. Im
Gegensatz zum "orbis terrae", dem Erdkreis, bezeichnen die "orbes
coelestes" aber auch die "himmlischen Bereiche", also das ganze
Himmelsgewölbe, das Weltall. In dem Titel klingen also nicht
nur
die Drehbewegungen der Planeten an, sondern auch die
"Umwälzungen"
in der Lehre über das Weltall. Es sieht so aus, als ob diese
Mehrdeutigkeit des Titels durchaus beabsichtigt war - freilich nicht
unbedingt von Copernicus selbst sondern vom Nürnberger
Herausgeber
Johannes Petreius [2]. Dieser dürfte den vermutlich von
Copernicus
gewählten kürzeren Titel "De Revolutionibus"
eigenmächtig erweitert haben.
[1] Zum Beipiel Brockhaus
Enzyklopädie Bd.10, 1970,
S.479.
[2] Nicolaus Copernicus, De Revolutionibus Orbium Coelestium Libri VI,
Nürnberg, Johannes Petreius, 1543. Englische Neuausgabe unter
dem
Titel "On the Revolutions", übersetzt und kommentiert von
Edward
Rosen im Auftrag der Polnischen Akademie der Wissenschaften,
Warszawa-Kraków, Pañstwowe Wydawnictwo Naukowe
1978.
(Nicholas Copernicus, Complete Works, II.) - Besprechung dazu von
Werner Thimm in: Zeitschrift für die Geschichte und
Altertumskunde
Ermlands Bd.39, 1978, S.165.
Das Werk wurde Papst Paul dem III. gewidmet. Zur dieser Zeit war die
Kirche den Naturwissenschaften gegenüber aufgeschlossen. Wegen
der
geplanten päpstlichen Kalenderreform erhielt Copernicus aus
Rom
sogar Zuspruch zur Fortführung und Publikation seines Werkes
[3].
Aber im Jahre 1600 wurde Giordano Bruno wegen seiner Lehre
über
das unendliche Weltall von der Inquisition auf dem Scheiterhaufen
verbrannt. Ebenso hätte es 1633 Galilei ergehen
können, der
mit seinem neuen Fernrohr die heliozentrische Lehre
überprüfen konnte und in seinem "Dialogo
über das
ptolemäische und das copernicanische Weltsystem" für
Copernicus Stellung nahm. Er mußte widerrufen, um sein Leben
zu
retten. 359 Jahre dauerte es, bis die katholische Kirche 1992 ihren
Irrtum eingestand und Galilei (nicht aber Bruno!) rehabilitierte.
*****
Mein persönliches Verhältnis zu Copernicus
begann damit,
daß ich in meiner Jugend in Thorn oftmals am
Copernicusdenkmal
vorbeikam oder es mit der in ihren Gleisen quietschenden
Straßenbahn umkurvte; und auch damit, daß ich in
einer
Straße wohnte, die nach dem Thorner Bürgermeister
Albrecht
Russe benannt war, einem der Urgroßväter von
Copernicus.
Damals wußte ich noch nicht, daß Albrecht Russe
mein
Vorfahr war. Ich wußte auch nicht, daß wir in einer
Gegend
wohnten, in der vormals meine Vorfahren Watzenrode Besitz gehabt hatten
("vier Morgen Wiese in der Mocker"), und daß es im Thorner
Stadtarchiv den Brief meines Namensvetters Hans Lemmel von 1439 gab, in
dem Lucas Watzenrode, der Großvater des Astronomen,
angesprochen
wird. Das erfuhr ich erst Jahre später, als ich mich mit der
Familienforschung beschäftigte.
[3] Tadeusz Pawluk, Wplyw srodowiska
koscielnego na
powstanie i ukazanie sie dziela De Revolutionibus Mikolaja Kopernika.
(Der Einfluß des kirchlichen Milieus auf die Entstehung und
Veröffentlichung des Werkes De Revolutionibus von Nicolaus
Copernicus.) In: Studia Warmiñskie 11, 1974/1975, S.53-92. -
Marian Borzyszkowski, Kosciól wobec De revolutionibus
Mikolaja
Kopernika. (Die Kirche und das Werk De Revolutionibus von Nicolaus
Copernicus.) Ebenda, S.527-535. - Besprechung zu beiden von Werner
Thimm in: Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde
Ermlands Bd.38, 1976, S.169.
*****
Die westpreußischen Bürger- und Ratsfamilien waren
schon vor
einigen Jahrzehnten durch den kürzlich verstorbenen Danziger
Genealogen Helmut Strehlau [4] gut erschlossen, so daß jeder,
der
einen Danziger Ratsherrn unter seinen Vorfahren hatte, seine Ahnentafel
umfangreich ausbauen konnte. Nun legte die Danzigerin Frau Dorothea
Weichbrodt geb. v.Tiedemann 1986-1994 ein umfangreiches Werk
über
die "Patrizier, Bürger, Einwohner der Freien und Hansestadt
Danzig" vor [5], in dem ein noch wesentlich umfangreicheres Material
erschlossen wird.
Das fünfbändige Werk besteht aus grafisch
angeordneten
Stammtafeln in A4-Format, in denen auf engstem Raum erstaunlich viele
Einzelheiten eingetragen sind. Es sind über 1700 Familien
dargestellt, von der ersten Beurkundung in Danzig bis ins 18., manchmal
auch ins 19. Jahrhundert. Die Stammtafeln sind teils in gut lesbarer
Handschrift, teils in Schreibmaschinenschrift wiedergegeben, teils in
Originalformat, teils von größeren Formaten auf
A4-Format
verkleinert, so daß in Einzelfällen eine Lupe zu
Hilfe
genommen werden muß, was keinesfalls als Kritik zu werten ist.
Das Material stammt größtenteils aus den Danziger
Kirchenbüchern, die um 1575 einsetzen. Trotz der
Zerstörung
Danzigs blieben sie erhalten und lagern in einem Danziger Archiv. Sie
standen der Autorin auf Mikrofilmen der Genealogischen Gesellschaft von
Utah zur Verfügung. Für die Zeit vor 1575 wurden alte
Danziger Genealogien und andere Quellen aus dem Danziger Stadtarchiv
herangezogen, auf die in zahlreichen Fußnoten verwiesen wird.
Soweit ich die Daten von Strehlau und von Frau Weichbrodt vergleichen
konnte, ließ sich feststellen, daß die Daten
übereinstimmen und daß beide sehr
sorgfältig
arbeiteten. Einige kleine Unstimmigkeiten dürften bereits aus
den
alten Chroniken stammen, die nicht ganz ohne Widersprüche sind.
Frau Weichbrodt erarbeitete umfangreiches bisher nicht erschlossenes
Material. Durch die Veröffentlichung in Buchform stellt sie
den
Familienforschern alles gratis zur Verfügung. Die
Bände
können in den einschlägigen Bibliotheken oder durch
Fernleihe
eingesehen werden. Insbesondere stehen die Bände in der
Bücherei des deutschen Ostens in Herne, beim Verein "Herold"
und
im Geheimen Staatsarchiv in Berlin, in den
Universitäts-Bibliotheken in Kiel und Göttingen,
sowie beim
Verein für Familienforschung in Ost-und Westpreußen.
[4] Helmut Strehlau, Westpreußische
Familienforschung
Bielefeld. Nunmehr fortgeführt durch Klaus-Dieter Kreplin,
Studienstelle Ostdeutsche Genealogie der Forschungsstelle
Ostmitteleuropa an der Universität Dortmund; Mittlg Dieter God
1991. - Vergl. Altpreußische Geschlechterkunde Bd.21, 1991,
S.636
und Ostdeutsche Familienkunde Bd.12, 1991, S.308. - Eine
Würdigung
der genealogischen Verdienste von Helmut Strehlau brachte Walter
Kapahnke in: Ostdeutsche Familienkunde Bd.13 Heft 2, 1992, S.70.
[5] Dorothea Weichbrodt geb. v.Tiedemann: Patrizier, Bürger,
Einwohner der Freien und Hansestadt Danzig in Stamm- und Namentafeln
vom 14.-18. Jahrhundert. Danziger Verlagsgesellschaft Paul Rosenberg,
Klausdorf bei Kiel, Bände 1-5, 1986-1994, jeder Band etwa 500
Seiten, gebunden. Mit etwa 100,- DM pro Band äußerst
preisgünstig. - Besprechung der ersten beiden Bände
von
Joachim Zdrenka in: Altpreußische Geschlechterkunde Bd.18,
1988,
S.437. - Seit 2020 digitalisiert online
*****
Die älteren Generationen spiegeln Danzigs weitläufige
Beziehungen der Hansezeit wieder: im Westen bis Holland und Westfalen,
im Nordosten bis Dorpat und Reval, im Süden bis Breslau,
Krakau
und Warschau. Aber mit dem Ende der Hanse scheinen die Danziger
Familien mehr und mehr in eine Isolierung vom übrigen
Deutschland
geraten zu sein, die sich auch in den Stammtafeln zeigt. Dadurch gibt
es viele Verwandtenehen, und jede Danziger Ahnentafel wird einen
beträchtlichen Ahnenschwund aufweisen. Auffallend ist,
daß
Frauen oft in sehr jungen Jahren heirateten und Kinder bekamen,
während andererseits Männer noch in recht hohem Alter
für Nachwuchs sorgten. Oft gibt es Kettenehen: Ein Witwer
heiratet
eine junge Frau, die dann als Witwe wieder heiratet... Dadurch
entstehen starke Generations-Verschiebungen, so daß bei
Ahnenschwund manche Vorfahren in drei oder vier verschiedenen
Generationen auftauchen.
Meine Urgroßmutter ist Marie Schumann aus Danzig [6]. Nach
dem
Strehlau'schen Material hatte sie drei Ahnenlinien, die zu Copernicus'
mütterlichen Großeltern Lucas und Käthe
Watzenrode
führen. Nach dem Weichbrodt'schen Material sind es nun sogar
sechs
Linien, wie in untenstehender Tafel gezeigt wird. Insgesamt ergeben
sich 2270 bekannte Vorfahren, die bei einem Ahnenschwund von 66 Prozent jedoch
nur aus 770 Personen bestehen. Dies zur Illustration des gewaltigen
Umfanges des Lebenswerkes von Frau Weichbrodt, die die mühsame
Entstehungsgeschichte und die vielfältigen Quellen dazu im
Vorwort
schildert.
[6] Hans-Dietrich Lemmel: Ahnenliste Marie Schumann oo Lemmel, * Danzig
1824, Genealogische Gesellschaft von Utah, Mikrofilm 1691490, 1990.
Neufassung 1992, Manuskript und Computer-Datei. - Anmerkung zur
Schumann-Genealogie: Der 1631 geborene Gabriel Schumann berichtet in
seinem "Lebensbuch", daß er sein "Geschlecht von denen noch
heydnischen Prussen herziehen" könne. Danach ist es durchaus
glaubhaft, daß der Deutschordensritter Michael Schumann (um
1400,
Stammvater der Danziger Schumann) ein Sohn oder Neffe des
Ordens-Kolonisators Dietrich Skomand ist, der wiederum ein Nachkomme
des 1285 gestorbenen Pruzzenfürsten Skomand war. Diese Meinung
über die Abstammung der Familie Schumann stammt aus einem
unveröffentlichten Manuskript von Erich Lemmel (*
Königsberg/Pr. 1890) und dessen Briefwechsel mit Rudolph
v.Schumann und Bernhard v.Schumann.
*****
Obgleich der Titel des Weichbrodtschen Werkes nur Danzig
erwähnt,
wurden auch viele Familien aus Thorn, Elbing und anderen
westpreußischen Städten aufgenommen, so auch einige
Familien
der Copernicus-Verwandtschaft in Thorn, zu der ich einige Anmerkungen
machen möchte.
Die für den Genealogen wesentlichsten Arbeiten
dürften die
von Erich Wentscher [7] zum Copernicus-Jahr 1943 (400. Todestag) und
die von Walter Teßmer [8] zum Jubiläumsjahr 1973
(500.
Geburtstag) sein. Eine empfehlenswerte neuere Biographie über
Copernicus erschien 1984 von Georg Hermanowski [9], einem
gebürtigen Allensteiner. Neuere Forschungen zu Copernicus
werden
regelmäßig in der Zeitschrift für die
Geschichte und
Altertumskunde Ermlands besprochen [10].
Hermanowski benutzt die Schreibweise "Kopernikus", die sich im
Deutschen eingebürgert hat, die so auch im Duden
vorgeschrieben
ist, die aber in keinem Originaldokument vorkommt. Genealogen und
Historiker sollten Namen in ihrer Originalschreibweise oder, wenn diese
vielfältig variiert, in der häufigsten urkundlichen
Schreibweise wiedergeben. Die latinisierte Form seines Namens, die der
Astronom sogar in deutschsprachigen Briefen eigenhändig
verwendet
hat [11], lautet ausschließlich "Copernicus". Die
ursprüngliche deutsche Form des Namens kommt in etlichen
Varianten
vor, unter denen verschiedene Autoren die Form "Koppernigk" bevorzugt
verwenden.
Niklas Koppernigk, der spätere Astronom, war der Sohn eines
gleichnamigen Vaters, der als Großkaufmann aus Krakau seit
1458
in Thorn lebte, wo er Gerichtsschöppe der Altstadt wurde. Die
Mutter des Astronomen war Barbara Watzenrode, Tochter des reichen
Thorner Kaufmannes Lucas Watzenrode und seiner schönen Frau
Käthe ("sie war eine Krone aller Frauen in der Stadt Thorn")
[12].
Das renovierte Copernicus-Haus
in Thorn [12a]
Die gesicherte Koppernigk-Reihe reicht bis zum
Großvater des
Astronomen, Johann Koppernigk, der etwa um 1390 geboren sein mag und
der von 1422 bis 1441 als Großkaufmann in Krakau beurkundet
ist
[13]. Er war mit einer Tochter des Krakauer Bürgers Peter
Bastgert
[14] verheiratet, dessen Vater Johannes aus Oppau in der Rheinpfalz
nach Krakau gekommen war. Als Johann Koppernigks Vater nahm Georg
Bender [15] einen Niclos Koppirnik an, der 1386 in Krakau das
Bürgerrecht erhielt und 1395 dort als Steinmetz lebte. Bender
merkte an, daß es
[7] Erich Wentscher: Blutslinien um Nikolaus
Koppernik.
Archiv für Sippenforschung 1944, S.21-29 u. 51-58.
[8] Walter Teßmer: Nicolaus Copernicus.
Altpr.Geschlechterkunde
Bd.7 Heft 1, 1973, S.117-134.
[9] Georg Hermanowski: Kopernikus. Verlag Styria, Graz, Wien,
Köln
1984. Mit Bibliographie S.236-238.
[10] Herrn Werner Thimm vom Historischen Verein für Ermland in
Münster danke ich für zahlreiche Hinweise.
[11] Hans Koeppen, Die Schreibung des Namens Copernicus, in: Schlesien
Bd.18, 1973, S.13-16. - Besprechung dazu von Werner Thimm in:
Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands
Bd.38,
1976, S.167.
[12] Franz Hipler, Das Porträt des Nicolaus Coppernick von
Krakau.
In: Spicilegium Copernicanum, Braunsberg/Leipzig 1872, S.301-303,
Fußnote 2.
[12a] Thorner Nachrichten Nr.65, 2019, Foto Michael Sodtke
2008]
[13] Weichbrodt Bd.2 S.484.
[14] Wentscher S.22-24. >Der Großvater des Astronomen
war
Johann Koppernigk in Krakau."Seine Ehe mit einer Tochter des Krakauer
Bürgers Peter Bastgert,
dessen Vater Johannes aus Oppau (Rheinpfalz) zugewandert war und 1392
im Krakauer Schöffenbuch erscheint, ist zuerst vom Polen
Polkowski
vermutet und später von seinem Landsmann A.L. Birkenmajer
bekräftigt
worden." [Birkenmajer in Stromata Copernicana, Krakau 1924, S.248ff]. -
Ob zu dieser Zeit der Name Bastgert in Oppau urkundlich belegt ist,
habe ich nicht untersucht (HDL).<
[15] Georg Bender: Heimat und Volkstum der Familie Koppernigk. Breslau
1920, Band 27 der Darstellungen und Quellen zur schlesischen Geschichte.
schon vorher Namensträger Koppernigk in Krakau gab, und
daß
diese wohl alle aus dem Dorf Köppernig bei Neiße in
Mittelschlesien (südlich von Breslau, westlich von Oppeln)
stammten. Sie hätten den Namen ihres Heimatdorfes als
Familiennamen angenommen, so daß Leute dieses Namens zwar aus
demselben Ort kämen aber nicht alle der gleichen Familie
zuzurechnen seien.
Dazu fand ich nun eine gegenteilige Meinung, die zwar genauso wenig
wie Benders Ansicht erwiesen, aber durchaus plausibel ist [16].
Köppernig sei
keiner der typisch schlesischen Ortsnamen, die in den deutschen
Neusiedlungen des 13. Jahrhundert gern auf -walde, -rode oder -hau
gebildet wurden. In diesem Falle sei nicht der Familienname vom
Ortsnamen herzuleiten, sondern der Ortsname müsse auf einen
Kolonisator ("Lokator") namens Köppernig zurückgehen,
der das
Dorf um 1260 als Rodungssiedlung gegründet habe.
Laut Hermanowski [17] war Köpperning bei Neiße ein
Gut. Es
wäre kein Einzelfall, daß ein Gut nach seinem
Besitzer
benannt wurde. Um diese Hypothese zu prüfen, wäre es
nun
interessant zu wissen, ob eine Familie mit
Köppernig-ähnlichem Namen bereits im 13. Jahrhundert
im
deutschen Sprachraum existierte und mit dem mutmaßlichen
Gutsbesitzer von Köpperning in Verbindung gebracht werden
könnte.
Laut Wentscher freilich kann der Ortsname Köppernig auch von
einem
slawischen Wortstamm hergeleitet werden, der Fenchel oder
Kümmel
bedeutet [14]. Wentschers Hinweis auf den slawischen Wortstamm ist
allerdings irreführend, denn Köpernik oder
Köppernickel
ist ein altes deutsches Wort für mehrere würzige
Doldenblüter [18], zu denen auch Fenchel gehört.
Der Gutsname Köpperning, von dem der Familienname Koppernigk
hergeleitet wird, kann also entweder von einem noch älteren
Familiennamen oder aber von der Pflanze "Köppernickel"
herrühren.
*****
Der mütterliche Großvater des Astronomen ist Lucas
Watzenrode (auch Wetzelrode), der als Schöppenmeister und
"einer
der reichsten Männer in Thorn und im Kulmerland" [15] 1462 in
Thorn starb. Sein Vater Friedrich W. starb 1416 in Thorn an der Pest.
Dessen Vater Albrecht W. ist mit seinen beiden älteren
Brüdern Friedrich und Johann 1369-1392 in Thorn mit Hausbesitz
beurkundet. Sie müssen etwa um 1340 geboren sein. Hier endet
die
gesicherte Reihe.
Es gibt gute Gründe für die Annahme, daß
die Thorner
Watzenrode, für welche Leibrenten der Stadt Breslau beurkundet
sind [14],[19], aus Schlesien stammen.
[16] Heiko Urtel: Coppernick und seine Ahnen.
Leserbrief
in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Nr.172 vom 27.7.1991.
[17] Hermanowski S.9.
[18] Brockhaus, wie Anm. [1].
[19] Janusz Tandecki, Dzialalnosc finansowa mieszczañstwa
toruñskiego ... (Die Finanztätigkeit des Thorner
Bürgertums in Breslau ... im 14. und 15. Jh.) in: Prace z
dziejów pañstwa i zakonu krzyzackiego,
Universitas
Nicolai Copernici, Toruñ 1984, S.83-106, mit deutscher
Zusammenfassung. - Breslauer Renten 1406 für Elizabeth von Loe
und
Fredrich Waczenrade, 1410 für Albrecht Watczinrode.
Etliche Familienforscher haben versucht, die Thorner Brüder
Watzenrode als Söhne des Paul Watzenrode auf Peterwitz in
Schlesien einzuordnen, aber vergeblich [20]. Die schlesischen
Watzenrode waren im 13. und 14. Jahrhundert ein Ratsgeschlecht in
Münsterberg (unweit Köppernig) und in Breslau. Ihr
Familienname wird auf das Dorf Wazygenrode/Weizenrodau bei Schweidnitz
(südwestlich von Breslau, nordwestlich von
Münsterberg)
zurückgeführt.
Hier läßt sich nun aus den Angaben von Frau
Weichbrodt und
Helmut Strehlau ein neuer Ansatz herleiten.
Der Thorner Ratsherr Johann v.Lohe, * ca 1335, †
1400, war mit einer
Watzenrode verheiratet, was freilich bei Weichbrodt [21], weil nicht
urkundlich belegt, mit Fragezeichen versehen ist. Laut Strehlau war
Johann v.Lohe Herr auf dem Gut Wetzelrode/Watzenrode bei Thorn. Aus
diesem Besitz zu folgern, war er mit einer Tochter Watzenrode
verheiratet, welche dieses Gut von ihrem Vater geerbt hatte.
Eine Verwandtschaft dieser Tochter Watzenrode mit den drei Thorner
Brüdern ist nicht urkundlich nachweisbar. Nachdem dieser
Familienname damals in Thorn noch selten ist, muß man mit
großer Wahrscheinlichkeit annehmen (so auch die verdiente
Genealogin Friedl Haertel [22]), daß alle vier Geschwister
waren,
und zwar Kinder des Besitzers des Gutes Watzenrode, der wohl kurz nach
1300 geboren sein mag.
Nun sind in den Weichbrodtschen Stammtafeln etliche Beispiele
dafür zu finden, daß ein zugezogener reicher
Kaufmann und
Stadtbürger seinem außerhalb der Stadt gelegenen
Gutsbesitz
seinen Familiennamen übertrug [23]. So dürfte auch
der Vater
der Geschwister Watzenrode, über den in Thorn keine Urkunden
erhalten sind, seinem vor der Stadt gelegenen Gut seinen Familiennamen
übertragen haben.
Wenn man der Hypothese folgt, daß die Thorner Watzenrode von
den
schlesischen Watzenrode abstammen, dann ist jedenfalls die Abwanderung
nach Thorn um etliches früher anzusetzen als bisher vermutet.
Die
Breslauer und Thorner Watzenrode leben in ähnlichem Stande: In
Breslau lebte Konrad Watzenrode, * ca 1270, †
1347, als Kaufmann und
Ratsherr; wie die Thorner Watzenrode hatte auch er Gutsbesitz
außerhalb der Stadt [24].
[20] Friedl Haertel, Suchanzeige in den
Familienkundlichen
Nachrichten Bd.5, 1980, S.114. Laut Mitteilung von Frau Haertel erhielt
sie auf diese Suchanzeige keine Zuschrift.
[21] Weichbrodt, Bd.3 S.240. - Hier sei auf einen Schreibfehler
hingewiesen. Wie mir die Autorin bestätigte, wurden
über der
Zeile der Enkel des Paares Johann v.Lohe ~ ?Watzenrode versehentlich
die Querlinien weggelassen, die die Verbindung zu den jeweiligen Eltern
darstellen.
[22] Friedl Haertel: Die Vorfahren der Kinder Haertel-Rodler, eine
nordost-südostdeutsche Ahnenschaft, Deutsches Familienarchiv
Bd.101/102, 1988.
[23] Beispiele hierfür laut Weichbrodt: Die aus Holland
gekommene
Familie von der Linde lebte um 1300 auf dem Gut Linde bei Thorn und die
aus der Hildesheimer Gegend gekommene Familie von Rautenberg lebte um
1300 auf Groß- und Klein-Rautenberg westlich von Braunsberg.
In
diesen und anderen Fällen ist der Familienname älter
als der
Gutsname, und das Gut wurde nach der Familie benannt.
[24] Ahnentafeln Breslauer Ratsgeschlechter, u.a. AL 8159 der Deutschen
Zentralstelle für Genealogie in Leipzig.
Die Verwandtschaft der Thorner und Breslauer Watzenrode wird
auch
dadurch plausibel, daß Johann v.Lohe (+ Thorn 1381), dessen
Sohn
die Erbtochter Watzenrode geheiratet hatte, laut Weichbrodt [21] ein
Kaufmann war, der mit Rauchwerk und Kupfer handelte. Kupfer aber kam
aus den böhmischen und ungarischen Erzgebirgen über
Breslau
oder Krakau [25], und in diesem Kupferhandel waren auch die Koppernigk
und die Watzenrode tätig. Die Thorner v.Lohe dürften
ihre
Handelspartner gewesen sein, woraus die Heiraten zwischen diesen
Familien folgten.
[25] Die Beziehungen von Oberungarn über Krakau nach Thorn
werden
durch einen Brief im Thorner Stadtarchiv illustriert: Hannes Lemmel,
Ritter und Graf zu Hermannstadt (Siebenbürgen), schreibt 1439
an
"den ersamen vorsichtigen weysen herren Burgermeister und Rathmanne der
stat Thorn in prewssen" und erbittet von Lucas Watzelrode eine
Zeugenaussage. [Gerhard Lemmel und Hans-Dietrich Lemmel:
Altpreußen und der Südosten, Zufallsfunde. In:
Altpr.
Geschl'kde Bd.14, 1983, S.170. - Stadtarchiv Thorn (Archiwum miasta
Torunia) dok. 922. - G. Gündisch: Urkundenbuch zur Geschichte
der
Deutschen in Siebenbürgen, Bd.5, Bukarest 1975, S.27 Regest
2339.]
- Hans Lemmel in Hermannstadt hatte einen Bruder Sigismund Lemmel, der
aus Breslau stammte und von 1418 bis 1436 als Magister und Altarist in
Krakau urkundlich nachweisbar ist. [Gustav Bauch: Schlesien und die
Universität Krakau im 15. u. 16.Jh.. In: Zeitschrift des
Vereins
f. Gesch. Schlesiens Bd.41, Breslau 1907, S.99ff, hier S.110 Nr.23. -
H.D. Lemmel: Regesten und Stammfolge der Familie Lemmel aus Prag
1350-1475. Manuskript im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg,
1992, und Genealogischen Gesellschaft von Utah, Mikrofilm 1691490,
1990.]
*****
Man kann sogar den Vornamen des nicht beurkundeten Herrn auf Gut
Watzenrode angeben, jedenfalls mit einiger Wahrscheinlichkeit.
Ferdinand Stibi verdanken wir die Neuveröffentlichung einer
Schrift von M. Gottfried Centner aus dem Jahr 1763 über
"Geehrte
und gelehrte Thorner aus ihrer Vaterstadt nebst gelegentlich
angebrachten Stammtafeln und Nachrichten von alten Thornischen
Familien" [26]. Darin ist über die Familie Watzenrode
angegeben,
daß sie von einem "Tidemannus Watzelrod, nobilis Prutenus"
abstamme. Centner kann diesen Tidemann, für den nicht einmal
Jahreszahlen bekannt sind, genealogisch nicht einordnen. Er stellt aber
fest, daß er "unter die von Adel gehöret, die zwar
in Thorn
gewohnet, aber weder das Bürgerrecht gewonnen noch zu
Ehren-Ämtern gebrauchet worden".
Diese Beschreibung mag nun recht gut auf den Besitzer des Gutes
Watzenrode zutreffen. Ob er tatsächlich ein Adeliger war, kann
man
bezweifeln; aber wohlhabende Kaufleute dieser Zeit pflegten, wenn sie
es sich leisten konnten, den Lebensstil des Adels zu imitieren, so
daß der mutmaßliche Großkaufmann Tidemann
Watzenrode
nach dem Erwerb seines Gutsbesitzes dem späteren Chronisten
als
ein Nobilis Prutenus erscheinen konnte. Centners Angabe, daß
er
in Thorn nicht zu Ehrenämtern herangezogen wurde,
erklärt,
warum er in den Thorner Urkunden nicht vorkommt.
Wentscher gibt nun an, daß "Waczinrode fratres" bereits in
einem
um 1310 zu datierenden Thorner Akziseregister erwähnt sind
[27].
Zwischen dieser Urkunde um 1310 und den ab 1369 in Thorn beurkundeten
Brüdern Friedrich, Johann und Albrecht klafft bei Wentscher
eine
zeitliche Lücke von einer Generation, die durch den wohl kurz
nach
1300 geborenen (Tidemann?) Watzenrode, den Herrn auf Gut Watzenrode,
geschlossen wird. Dessen Vater mag einer der "Waczinrode fratres" sein,
die generationsmäßig neben dem etwa 1270 geborenen
Breslauer
Konrad Watzenrode stehen. Der Thorner und der Breslauer
Watzenrode-Zweig sind also etwa gleich alt. Die "Waczinrode fratres" in
Thorn können Brüder des Konrad in Breslau und somit
Söhne des Nikolaus Watzenrode sein, der 1269-1304 als
Bürger
in Münsterberg in Schlesien beurkundet ist [24].
Die so dargestellten Zusammenhänge sind freilich urkundlich
nicht
gesichert. Aber die vorhandenen Urkunden und die anzunehmende Herkunft
der Thorner Watzenrode aus Schlesien können genealogisch kaum
anders erklärt werden. Die Reihe Watzenrode in der
Ahnentafel Copernicus könnte also um etliche Generationen
verlängert werden.
[26] Gottfried Centner: ... Stammtafeln und Nachrichten von alten
Thornischen Familien. Thorn 1763. Neuveröffentlichung durch
Ferdinand Stibi in: Altpr. Geschlechterkunde, NF 21.Jg, Heft 1-7,
März 1973, S.135-196.
[27] Wentscher S.24.
*****
Über Käthe Watzenrode, Copernicus'
Großmutter
mütterlicherseits, waren die Experten nicht einig, weil
Danziger
und Thorner genealogische Quellen in diesem Punkt nicht
übereinstimmen. Mit Sicherheit war sie in erster Ehe mit dem
Thorner Fernkaufmann und Schöffen Henrich Peckau (†
1435)
verheiratet [28]. Er war mit zwei Brüdern aus Schweidnitz in
Schlesien nach Thorn gekommen und stammte aus einer
ursprünglich
Dortmunder Familie.
Hier sei die Anmerkung eingefügt, daß die Familie
Peckau zu
den Vorfahren des nach Copernicus wohl zweitgrößten
altpreußischen Naturforschers gehört: Daniel Gabriel
Fahrenheit. Seine Urururgroßmutter war eine geborene Peckau
[29].
Fahrenheit, * Danzig 24.5.1686, führte durch das von ihm
erfundene
Quecksilberthermometer erstmals eine genaue Temperaturmessung ein und
vollbrachte so auf diesem Gebiet eine ähnlich wichtige
Umwälzung wie Copernicus in der Astronomie.
Für Käthe, Witwe des Henrich Peckau, dann
verheiratete Lucas
Watzenrode, wird bei einigen Autoren [9],[15] kein Mädchenname
angegeben. Andere Autoren [4],[30],[31] sehen sie als die Tochter des
Thorner Ratsherrn Albrecht Russe an. Frau Weichbrodt [28] folgt
Wentscher [32] und Teßmer [33] und gibt sie als eine geborene
Katharina Rüdiger an. Laut Weichbrodt [34] war schon 1349 ein
Jakob Rüdiger Bürgermeister von Thorn; aber ein
Nicolaus
Rüdiger wanderte noch 1396 aus Thüringen nach Thorn
ein. Wie
hier Copernicus' Großmutter Käthe einzuordnen ist,
bleibt
trotz des Weichbrodt'schen Rüdiger-Materials offen.
Eine Russe ist laut Wentscher [32] nicht die Frau sondern die Mutter
von Lucas Watzenrode, und zwar Tochter des 1404/05 gestorbenen Thorner
Ratmanns Albrecht Russe und wohl Enkelin des 1369-1384 beurkundeten
Ratmanns Lucas Russe, nach dem Lucas Watzenrode seinen in der Familie
sonst nicht vorkommenden Vornamen erhielt.
[28] Weichbrodt Bd.3 S.427.
[29] Weichbrodt. Die Ahnenreihe geht über die Familien
Fahrenheit
(Bd.1 S.164), Greverath (Bd.1 S.216), Scheweke (Bd.1 S.444), Peckau
(Bd.3 S.427f) bis zu Jochen Peckau, * Danzig, 1536 Student in
Wittenberg. Die weitere Peckau-Reihe enthält einige
Unsicherheiten.
[30] Johannes Papritz, Die Nachfahrentafel des Lukas Watzenrode, in:
Kopernikus-Forschungen, Bd.22 der Reihe Deutschland und der Osten,
Leipzig 1943, S.132-142.
[31] Viktor Kauder: Nicolaus Copernicus. Ostpreußenblatt,
Hamburg
Jg.18 Folge 10, 11.3.1967, S.10ff.
[32] Wentscher S.25-28.
[33] Teßmer S.128.
*****
Nachstehend ist die Ahnenliste von Nicolaus
Copernicus
wiedergegeben.
Sie stimmt mit der bei Teßmer [8] angegebenen
überein,
enthält jedoch die oben besprochenen Ergänzungen.
Selbstverständlich kann man für eine Ahnenliste des
ausgehenden Mittelalters nicht dieselbe Sicherheit erwarten wie
für eine auf Kirchenbüchern fußende
Ahnenliste
späterer Jahrhunderte. Hierzu verweise ich auf die
Diskussionen
bei Teßmer.
Ahnenliste von Nicolaus Copernicus
1. Niklas Koppernigk, * Thorn 19.2.1473, †
Frauenburg 24.5.1543, 1491 Univ. Krakau, dann Bologna. Domherr in
Frauenburg, Arzt und Astronom. Zeitweilig in Heilsberg und Allenstein,
Administrator des Ermlandes.
2. Generation (Eltern):
2. Niklas Koppernigk, * Krakau (etwa 1420/25), †
Thorn nach 18.7.1483. 1447 Großkaufmann in Krakau, seit 1458
in
Thorn, 1465-1483 Gerichtsschöppe der Altstadt. Handel (u.a.
mit
Kupfer) und Geldgeschäfte zwischen Krakau und Danzig.
oo Thorn vor 1463
3. Barbara Watzenrode, * Thorn (etwa 1442).
3. Generation
(Großeltern):
4.
Johannes Koppernigk, * (etwa 1390). 1422-38 urkundlich als
Großkaufmann und Bankherr in Krakau mit
Geschäftsbeziehungen
besonders nach Schlesien.
5. ... Bastgert, * (etwa 1395).
6. Lucas Watzenrode, * Thorn (etwa 1410), †
Thorn 1462. Kaufmann und Gutsbesitzer, einer der reichsten
Männer
in Thorn und im Kulmerland. Kulmischer Landschöppe, dann
Schöppenmeister in Thorn.
oo 1439
7. Katharina Rüdiger verwitwete Peckau, * Thorn
(etwa
1410/15), † Thorn 1476. "Sie war
eine Krone aller Frauen in
der Stadt Thorn".
4. Generation
(Urgroßeltern):
8.
Niclos Koppirnik, * (etwa 1360) (aus Köppernig?), 1395
Steinmetz
in Krakau, wo er 1386 das Bürgerrecht erhielt.
10. Peter Bastgert, * (etwa 1360), aus Oppau/Rheinpfalz, Kaufmann und
Bürger in Krakau.
12. Friedrich Watzenrode, * Thorn (etwa 1375), †
Thorn 1416
an der Pest. In Thorn urkundlich ab 1392, 1412-14 Schöffe,
1415
Ratmann.
13. ... Russe, * Thorn (etwa 1380).
14. ... Rüdiger, * (etwa 1380), vielleicht Nachkomme von Jakob
Rüdiger, der 1349 Bürgermeister in Thorn war.
5. Generation:
20. Johannes Bastgert, * (etwa 1325), aus Oppau/Rheinpfalz, seit 1392
im Krakauer Schöffenbuch erwähnt.
24. Albrecht Watzenrode, * (etwa 1345), 1369, 1392 in Thorn
erwähnt.
26. Albrecht Russe, * (etwa 1345), †
1404/05. Ratsherr in
Thorn, Hauptmann der Hanse von Stockholm.
6. Generation:
48.
(Tidemann) Wetzelrode, * (etwa 1305), in Thorner Urkunden nicht
erwähnt, Herr auf Gut Wetzelrode, das später im
Besitz seines
Schwiegersohnes Johann von Lohe ist.
52. Lukas Russe, * (etwa 1315). Schöffe, Ratmann und Richter
der
Thorner Altstadt, urkundlich 1369-1384.
7.-9. Generation:
96. Einer der "Waczinrode fratres", (* etwa 1270), die um 1310 in einem
Thorner Akzise-Register erwähnt sind.
192. wahrscheinlich Nikolaus Watzenrode, (* etwa 1240),
erwähnt
1269-1304, auf Nethwitz, Bürger in Münsterberg,
384. Goblo Watzenrode, (* etwa 1210), + vor 1269, erwähnt
1266, Bürger in Münsterberg. Die Familie stammt aus
Wazygenrode bei Schweidnitz.
*****
Copernicus benutzte ein Siegel, das Apoll mit einer Lyra
zeigt [35],[36]. Das wird als eine Allegorie dafür gedeutet,
daß Copernicus sowohl im Christentum als auch im antiken
Humanismus wurzelte: Apoll, der mit dem Sonnengott Helios gleichgesetzt
wird, ist nicht nur ein Symbol für das heliozentrische System,
sondern galt schon in der Urkirche als ein Christus-Symbol [37].
Daß noch um 1800 in Copernicus' Wohnung in Allenstein sein
farbiges Wappen an einer Fensterscheibe zu sehen gewesen sein soll
[37a], kann nicht mehr verifiziert werden.
Andreas Koppernigk, der ältere Bruder des Astronomen, der
ebenfalls Domherr in Frauenburg war, benutzte ein Wappen mit einem
Sparren, der von drei Rosen in der Anordnung 2:1 umgeben ist (Abb.1)
[30],[31]. Es ist in den Danziger Genealogien
naturgemäß
ohne
Angabe der Farben überliefert, da seine Kenntnis von einem
Siegelabdruck herrührt. Man nimmt an, daß er dieses
Wappen
von seinem Onkel, dem Thorner Bürgermeister Tiedemann v.Allen (†
vor 1502), übernommen hatte, der Christina Watzenrode, Vater
Koppernigks Schwägerin, zur Frau hatte. Die v.Allen, die unter
den
Thorner Kaufleuten die bedeutendsten Kupferhändler waren [38],
führten ebenfalls einen Sparren im Wappen, aber ohne Rosen.
Davon
abgesehen kommt ein Wappen mit Sparren und drei Rosen relativ
häufig vor [39]. Ich möchte aber darauf hinweisen,
daß
das Wappen des Andreas Koppernigk als redendes Wappen gedeutet werden
kann: Im Mittelniederdeutschen gibt es das Wort "Köper", das
Dachsparren oder Querbalken bedeutet [40]. Dieser Wortdeutung folgend
mag
[34] Weichbrodt Bd.1 S.406.
[35] Brief vom 21.6.1541 von Copernicus an Herzog Albrecht,
Staatsarchiv Königsberg, Herzogl. Briefarchiv C 1 a; laut
Teßmer S.123.
[36] Leopold Prowe, Nicolaus Coppernicus, 2 Bände 1883-1884.
Neudruck bei Otto Zeller, Osnabrück 1967. S.47.
[37] Stanislaw Mossakowski, Symbolika pieczeci Mikolaja Kopernika (Die
Symbolik des Siegels von Nicolaus Copernicus), in: Rocznik Historii
Sztuki 10, 1974, S.222-230. - Besprechung dazu von Werner Thimm in:
Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands
Bd.38,
1976, S.167.
[37a] Jan Sniadecki, Kurze Lebensbeschreibung des Copernicus. Deutsche
Übersetzung vom Domherrn Hoppe zu Frauenburg, in: Preussische
Provonzial=Blätter Bd.8, Königsberg 1832, S.547-568.
[38] Bogislav von Archenholz, Bürger und Patrizier, ein Buch
von
Menschen und Städten des deutschen Ostens. Ullstein 1970,
Lizenzausgabe R.Löwit, Wiesbaden, 1979, S.165.
[39] Ein Wappen mit einem Sparren und 3 Rosen kommt bei etlichen
Familien vor: 1) ohne Farbenangabe, Roggosin/Rogesin/Rokusen, ein
angesehens Geschlecht des südlichen Ostpreußens; von
ihnen
gehörte Zander v.R. 1440 zum Preußischen Bund.
[Siebmacher
6.Bd. 4.Abt. Tafel 53] - 2) ohne Farbenangabe, Czernsehe, altes
Rittergeschlecht Westpreußens; Klaucko d.J. v.C. 1440 in der
Vogtei Wenzlau. [Siebmacher 7.Bd. 3.Abt. Tafel 5] - 3) Genau das
gleiche Wappen (in den Farben rot-weiß) fand ich in den
Feldern 2
und 3 des gevierten Wappens von Matthäus Püschel, der
1635
Bürgermeister von Schweidnitz ist [Siebmacher Bd. VI 8 II
Tafel
60]. Dieser geographische Bezug ist bemerkenswert.
[40] Duden, das große Wörterbuch der deutschen
Sprache, 1978
Bd.4 S.1552.
Andreas Koppernigk den Sparren in sein Wappen
genommen
haben. Damit soll nun keineswegs gesagt sein, daß der Orts-
und
Familienname Köppernigk etymologisch von dem Wort
"Köper"
herzuleiten sei. Für einen redenden Wappenentwurf reicht die
klangliche Ähnlichkeit zwischen Familiennamen und Wappenmotiv.
Franz Hipler [41] und Leopold Prowe [36] behaupteten, daß die
Familie Koppernigk nicht wappenberechtigt gewesen sei. Diese Ansicht
ist überholt, denn angesehene Kaufleute dieser Zeit nahmen
nach
Belieben ein Wappen an, ohne es sich von irgend einer Seite verleihen
zu lassen. Trotzdem kann es durchaus sein, daß die
Koppernigks
vor der Einwanderung in Thorn noch kein Wappen hatten. Zuvor und auch
zusätzlich zu einem Wappen benutzten die damaligen Kaufleute
Haus-
und Handelsmarken. Das sind runenartig wirkende abstrakte
Strichzeichnungen, von denen eine Sammlung auch bei Weichbrodt [42]
abgebildet ist. Die Hausmarke des Kaufmanns Niklas Koppernigk ist bei
Hipler und Prowe abgebildet, siehe Abb.2. Ein Siegelabdruck mit seinem
Wappen ist von ihm leider nicht bekannt. Die Unkenntnis des
Koppernigk-Wappens hatte, wie im folgenden Kapitel gezeigt, zu etlicher
Verwirrung geführt.
[41] Franz Hipler, wie [12].
[42] Weichbrodt Bd.1 S.501: Grabsteine mit Hausmarken in St.Marien
Danzig, laut Steinbuch.
*****
Das
Bischofs-Schloss in
Heilsberg [Postkarte Verlag Rautenberg]
Im bischöflichen Schloß Heilsberg findet man heute
eine
Bildtafel [43], die den
Vater des Astronomen zeigt. Es ist ein Votivbild, das den knienden
Koppernigk vor einer Fantasie-Landschaft zu Füßen
einer
Madonna zeigt, umgeben von vier Familienwappen in den Bildecken. Durch
einen schweren Pelzmantel ist er als ein wohlhabender Mann erkennbar.
Eine dreizeilige Inschrift am oberen Bildrand lautet: NICOLAUS
COPERNICUS PATER NICO/LAI COPERNICI ASTROLOGIA UNIUS MIRACULE / NATI
1473 19 FEBRUARY.
Die vier Wappen dieser Bildtafel führten in der Vergangenheit
zu
Diskussionen für und gegen eine polnische
Copernicus-Großmutter. Laut Wentscher [44] aber handelt es
sich
um eine "angebliche Kopie eines angeblichen Bildnisses des Vaters
Koppernik, das aber zweifellos als reines Phantasieprodukt einer viel
späteren Zeit anzusprechen ist".
Dennoch lohnt es sich, dieses Bild näher zu betrachten, zumal
nahezu jeder Ostpreußentourist es zu sehen bekommt.
Eine Skizze der Bildtafel mit den vier Wappen zeige ich in Abb.3. Man
sollte annehmen dürfen, daß das Wappen a zu
Koppernigks
Füßen sein eigenes ist (was aber nicht der Fall
ist). Das
Wappen d, das auf einem Silber-Rot geteilten Schild einen Vogelkopf auf
zwei Menschenbeinen zeigt, ist von anderen Porträts als das
des
Bischofs Lucas Watzenrode bekannt. Das Wappentier blickt hier nicht,
wie üblich, nach links (vom Betrachter aus) sondern nach
rechts
zur Bildmitte; es ist gedreht. Hieraus zu schließen
muß
auch das Wappen a gedreht sein. Es zeigt vorne auf Silber drei rote
runde Scheiben (Rosen?), hinten auf Rot drei goldene etwas
durchgebogene Schrägbalken, auf denen jeweils ein
ausgestreckter
Arm zu sehen ist. Es wird der Thorner Familie Rohde/Rothe
zugeschrieben, für die jedoch eine Beziehung zu Copernicus
fehlt.
Das Wappen b zeigt in Silber einen schwarzen Schrägbalken,
"schrägrechts", der mit einem silbernen Kreuzstab belegt ist.
Dieses Wappen war sonst unbekannt, und noch kein Autor hatte bisher
eine Zuordnung angeben können. Auch eine Anfrage beim
Herolds-Ausschuß der deutschen Wappenrolle brachte kein
Ergebnis
[45].
Das Wappen c zeigt auf einem rot-weiß gevierten Schild einen
vorwärts gekehrten schwarzen Stierkopf, der von rechts unten
(vom
Betrachter aus gesehen) von einem Spieß durchbohrt wird. Ein
Wappen mit einem Stierkopf, der von rechts oben von einem Schwert
durchbohrt wird, führen etliche polnische Familien der
Wappengruppe Pomian [46]. Alle diese Familien haben den gleichen
Schild, unterscheiden sich aber in der Helmzier. Das Stierkopf-Wappen
auf der Heilsberger Bildtafel ist nun aber deutlich anders: der
Stierkopf ist nicht von oben sondern von unten durchbohrt, und nicht
von einem Schwert sondern einem Spieß; und die Pomian-Wappen
haben keinen gevierten sondern einen einfarbigen, meist goldenen
Schild. Es gilt als das jüngere Wappen der Familie
Rüdiger,
die jedoch zur Zeit von Copernicus noch ihr altes, ganz anders
aussehende Wappen führte [47].
Das Bild wurde zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Thorn als Kopie nach
einem sonst unbekannten Original gemalt. Auftraggeber dieser Kopie war
der Krakauer Professor Johannes Broscius (Jan Brozek), der sie 1614
nach Krakau an den Geburtsort des Koppernigk-Vaters brachte [47a],[48]
und sich selbst in einer Inschrift am unteren Bildrand verewigte:
"IOANNES BROSCIUS CVRZELOVIENSIS DEPINGI CVRAVIT TORVNII ATQ. HIC
REPOSVIT." Eine Reproduktion des Bildes wurde 1873 zum 400.
Copernicus-Geburtstag in Gnesen gedruckt [49] und 1973 von Jerzy
Drewnowski [50] neu veröffentlicht und besprochen.
[43] Mir liegt eine Fotografie
von Konrad
Höfler, Neumarkt/OPf vor.
[44] Wentscher S.26.
[45] Frdl. Mittlg von Herrn Arndt, Juli 1992,
Herolds-Ausschuss
der deutschen Wappenrolle, Berlin.
[46] Polnische Familien des Stammes Pomian haben im Wappen in Gold
einen vorwärts gekehrten schwarzen Stierkopf, der
"schräglinks" (das heißt von rechts oben, vom
Beschauer
gesehen) von einem Schwert durchbohrt ist. Bei Zernicki-Szeliga "Die
polnischen Stammwappen" sind 130 Familien dieses Wappens
aufgezählt. Einige lebten auch in Preußen, so z.B.
die
Pomian, von denen ein Zweig zu Mitte des 15.Jh. in Preußen
saß [Siebmacher 6.Bd. 4.Abt. Nürnberg 1874 Tafel
46]; die
Sokolowski im 15.Jh. in Westpreußen [Siebmacher, wie eben,
Tafel
64]; die später nach Schlesien gekommenen Makowetzki
[Siebmacher
Bd. VI 8 II Tafel 50] und Niezychowski [Siebmacher Bd. VI 8 III Tafel
62]; und andere.
[47] Beschreibung des Thorner/Danziger Rüdiger-Wappens siehe
Weichbrodt Bd.1 S.406: Der Schild ist silber-rot gespalten, vorn drei
rote linke Schrägbalken, hinten ein gepanzerter Arm, dessen
Hand
ein S-förmiges Eisen hält. Wentscher erwähnt
(S.26),
daß das Wappen Rüdiger auf zwei Thorner Epitaphien
überliefert ist und daß das gleiche
Rüdiger-Wappen auch
in Danzig vorkommt, aber er beschreibt das Wappen nicht.
[47a] Preussische Provinzial=Blätter Bd.8, Königsberg
1832,
Anmerkung der Redaktion zu Jan Sniadecki [37a], S.567f.
[48] Prowe, wie [36], S.468 ff.
[49] I. Polkowski, in: Album wydane staraniem Towarzystwa
Przyjaciól Nauk w Poznaniu w czterechsetletnia rocznice
urodzin
Mikolaja Kopernika, Gniezno 1873, Tafel III.
[50] Jerzy Drewnowski, Rzekomy portret epitafijny Mikolaja Kopernika,
ojce astronoma. Proba interpretacji. (Das angebliche
Epitaph-Porträt von Nikolaus Kopernik, dem Vater des
Astronomen.
Ein Interpretationsversuch.) In: Kwartalnik historii nauki i techniki,
18.Jg., 1973, S.511-526. - Besprechung dazu von Werner Thimm in:
Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands
Bd.37,
1974, S.206; und in: Preußenland Jg.12, 1974, S.1-15.
*****
Eine andere Reproduktion dieser Bildtafel, die als Lithographie
vervielfältigt worden war, wurde 1955 von M. Gasiorowska [51]
veröffentlicht. Hier sieht im Wappen b das Kreuz des
Kreuzstabes
wie ein Degengriff aus. Beide Bildversionen hatten noch eine weitere
Inschrift, die jetzt auf der Heilsberger Bildtafel fehlt: "Des Heren
Docter Nicolae Coppernick Thumher und Astronim. Zur Frauenburg / Seines
seligen Vaters, Auch Nicolaus Coppernick genant, seine Gesstalt." Die
Heilsberger Tafel dürfte eine Kopie der Krakauer sein, auf der
man
das deutschsprachige Schriftband aus durchsichtigen Gründen
wegließ.
Seit langem wurde die Echtheit des Original-Porträts, das um
1600
in Thorn existiert haben müßte, angezweifelt, teils
mit
richtigen, teils mit zweifelhaften Argumenten.
Wie ist das Bild zu erklären? Da Niklas Koppernigk allein und
nicht mit seiner Frau zusammen dargestellt ist, mag das Bild
(jedenfalls das verschollene Original) nach seinem Tod von seiner Witwe
Barbara geb. Watzenrode gestiftet worden sein, deren Wappen ja auch
links oben zu sehen ist. Zu diesem Zeitpunkt war der Sohn aber noch
nicht ein berühmter Astronom, so daß die Inschrift,
die
diesen erwähnt, auf einen wesentlich späteren
Zeitpunkt
deutet. Dabei ist es offen, ob das Bild alt ist und die Inschrift
nachträglich dazugesetzt wurde, oder ob das ganze Bild
jüngeren Datums ist, wobei es freilich die Kopie eines
älteren Bildes sein könnte.
Wappenanordnungen auf derartigen Bildern sind keineswegs einheitlich
[52]. Entsprechend einer häufigen Anordnung würden
die Wappen
die der vier Großeltern des Dargestellten sein. Aber diese
Anordnung findet man hier eindeutig nicht, da das Familienwappen links
oben mit Sicherheit das der Witwe des Dargestellten ist.
Eine andere Deutungsmöglichkeit ergäbe sich in dem
Fall,
daß die Ehe Watzenrode bereits Niklas Koppernigks zweite oder
gar
dritte Ehe war. Das, in der Tat, vermutete Wentscher [53]: Die Ehe
Koppernigk-Watzenrode ist erstmals 1463 urkundlich nachweisbar und
wurde wohl erst kurz vorher geschlossen. Niklas Koppernigk war aber
schon 1447 in Krakau ein tätiger Mann, bevor er 1458 nach
Thorn
kam. Es ist also nicht nur möglich sondern durchaus
wahrscheinlich, daß er bereits Witwer war, als er, etwa
40-jährig, nach Thorn kam und Barbara Watzenrode heiratete.
Die
Wappen b, c, d könnten also die seiner drei Frauen sein.
Daraus
folgt, daß der vor Jahrzehnten geführte Streit um
diese
Wappen müßig war. Denn da die Wappen keineswegs
Ahnenwappen
sein müssen, waren sie für eine
Beweisführung zu den
Copernicus-Vorfahren unerheblich.
[51] M. Gasiorowska: Toruñski portret
mieszczañski
1500-1850, Toruñ 1955, S.38.
[52] vgl. u.a. Eugen Schöler: Fränkische Wappen
erzählen
Geschichte und Geschichten. Verlag Degener, Neustadt/Aisch 1992.
[53] Wentscher S.24.
Inzwischen wurde die Frage der vier Wappen geklärt. 1970
veröffentlichte Marian Gumowski ein Wappenwerk des Thorner
Patriziats [54], das auf Thorner Quellen, insbesondere auf einem
Wappen-Album von C.F. Steiner von 1733, fußt. Nach Jerzy
Drewnowski [50] wurde das Bild um 1600 von angesehenen Thorner
Bürgern gestiftet, die sich durch ihre Wappen auf der
Bildtafel
selbst ein Denkmal setzten. Es sind die Wappen der Familien Roth
(Wappen a), v.Wege (b), Rüdiger (c), und zwar das erst nach
1552(!) nachweisbare jüngere Wappen der Rüdiger, und
Watzenrode (d) [55]. Neben den Rüdiger und Watzenrode
gehören
auch die beiden anderen zu den ältesten Thorner Familien. Die
Rothe stehen schon um 1400 in enger Beziehung mit den Watzenrode [56],
und Tileman v.Wege war der Titelheld des um 1450 spielenden
historischen Romans "Der Bürgermeister von Thorn" von Ernst
Wichert [57].
Freilich gibt es auch hier kleine Unstimmigkeiten. So hat das Wappen
v.Wege bei Gumowski einen Pfeil im Schrägband, auf der
Heilsberger
Bildtafel aber einen Kreuzstab. Das Rüdiger-Wappen, das auf
der
Bildtafel einen Spieß zeigt, hat bei Gumowski ein Schwert.
Durch
die Kleinheit der auf Siegeln überlieferten Wappen lassen sich
solche Unterschiede erklären.
Ob das Porträt des Kopernikus-Vaters nun ein Fantasieprodukt
ist,
oder ob es die Kopie eines verschollenen Original-Porträts
ist,
läßt sich nicht mehr feststellen. Immerhin besteht
die
Möglichkeit, daß die Bildtafel (ohne die Wappen und
Inschriften) mehr oder weniger der Vorlage eines hypothetischen
Originals entspricht, das die Koppernigk-Witwe ihrem Mann nach dessen
1483 erfolgtem Tod gewidmet haben mochte.
Als Vater Koppernigk starb, war der Sohn Niklas erst zehn Jahre alt.
Dadurch kam er in die Obhut seines Onkels Lukas Watzenrode, der
Geistlicher war und 1489 Fürstbischof von Ermland wurde. Er
sorgte
für die Ausbildung seines Neffen und ermöglichte ihm
ein
dreijähriges Studium (bis 1494) an der damals
hochberühmten
Universität von Krakau, wo gerade die Nachricht der
Rückkehr
des Christoph Columbus von seiner aufsehenerregenden Entdeckungsreise
eintraf. 1495 wurde "Nicolaus de Thorn, nepos episcopi" [58] Domherr in
Frauenburg, was er mit vielen Unterbrechungen bis zu seinem Tod 1543
blieb. Er wirkte nicht nur als Astronom sondern als Mathematiker,
Übersetzer, Jurist, Arzt, Administrator, Finanzfachmann,
Baumeister und Teilnehmer an preußischen Landtagen.
[54] Marian Gumowski, Herbarz patrycjatu
Toruñskiego,
Roczniki Towarzystwa Naukowego w Toruniu, Toruñ 1970.
(Wappenbuch des Thorner Patriziats, Jahrbuch der Wissenschaftlichen
Gesellschaft in Thorn, Thorn 1970).
[55] Gumowski, Tafeln XXV (Roth), XXXII (v.Wege), XXVI
(Rüdiger),
XXXI (Watzenrode).
[56] Wentscher S.24. Verschiedene Familien des Namens Rothe/Rode vergl.
Weichbrodt Bd.4 S.72-79.
[57] Ernst Wichert, Der Bürgermeister von Thorn. Historischer
Roman. Verschiedene Ausgaben, z.B. Deutsche Buch-Gemeinschaft Berlin,
undatiert (um 1936).
[58] Hermanowski S.231.
*****
Der Dom in
Frauenburg. (Foto
H.D.Lemmel 1959)
In Frauenburg gibt es eine lustige Episode, zu der einige genealogische
Angaben bei Weichbrodt Erläuterungen bringen.
Von 1537 bis 1539 hatte der alternde Copernicus in Frauenburg eine
Wirtschafterin namens Anna Schilling, und in der Domburg gab es eine
Affäre, aufgrund derer Anna Schilling, und auch die
Wirtschaftsdamen zweier anderer Domherren, Frauenburg verlassen
mußten. Ob es eine Intrige war oder Prüderie, ist
nicht ganz
klar. Diese Geschichte wurde in neuerer Zeit auch in polnischer
Literatur abgehandelt [59],[60].
Anna Schilling war eine Verwandte von Copernicus. Seine Kusine
mütterlicherseits war Christina von Allen, die den aus
Köln
stammenden Thorner Ratsherrn Heinrich Krieger (Krüger)
heiratete,
der "einer der reichsten und mächtigsten Thorner Patrizier
seiner
Zeit" [61] war. Deren Tochter Anna Krieger heiratete den aus Holland
stammenden Danziger Kaufmann Arend van der Schelling (Schilling), der
1437 starb. Als Witwe ging Anna Schilling zu Copernicus, ihrem Onkel
zweiten Grades, nach Frauenburg.
Laut Strehlau war es nicht die Witwe Anna Schilling sondern ihre
20-jährige gleichnamige Tochter, die dem Copernicus den
Haushalt
führte und durch ihre Jugend im Domkapitel Anstoß
erregt
haben mochte. Denn von der Mutter Anna Schilling berichtet eine
Chronik, daß sie 1536 im Kindbett starb, so daß nur
die
Tochter Anna als Copernicus' Haushälterin in Frage kam. Frau
Weichbrodt [62] weist nun darauf hin, daß die Nachricht vom
Tod
im Kindbett nicht stimmen kann, da die Witwe Anna Schilling noch 1538
lebte und einen Erbvertrag mit ihrem Bruder Lucas [63]
abschloß.
Auch andere Quellen sprechen davon, daß die "Anna
Schillingsch"
kein junges Mädchen war sondern "von ihrem Mann getrennt" mit
mehreren Kindern im Haus des Copernicus lebte [60],[64]. Nach
längerem Streit zwischen Copernicus und dem Bischof Johann
Dantiscus [65], worüber einige Schriftstücke erhalten
sind,
mußte Copernicus nachgeben und seine Haushälterin
entlassen.
Sie mußte Anfang 1539 ihre Koffer packen und durfte erst nach
Copernicus' Tod (1543) nach Frauenburg zurückkehren, um dort
ihr
Haus zu verkaufen, für das Bischof und Domkapitel ihr kein
Wohnrecht geben wollten. Der Bischof freilich, der sich so um die Moral
des Domkapitels sorgte, hatte selbst zwei uneheliche Kinder.
[59] Marian Biskup: Sprawa Mikolaja Kopernika
i Anny
Schilling w swietle listów Feliksa Reicha do biskupa Jana
Dantyszka z 1539 roku. (Das Verhältnis Nikolaus Kopernikus' zu
Anna Schilling nach den Briefen Felix Reichs an Bischof Johann
Dantiscus 1539.) Kommunikaty Mazursko-Warmiñskie Heft 117,
1972,
S.371-380. - Laut Besprechungen von Werner Thimm in: Zeitschrift
für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands Bd.37, 1974,
S.198;
und von Wolf Konietzko in: Altpr. Familienkunde Bd.21, 1991, S.709.
[60] Jerzy Drewnowski, Nowe zródlo do niedoszlego procesu
kanonicznego przeciwko Mikolajowi Kopernikowi. (Eine neue Quelle zu dem
nicht zustande gekommenen Prozeß gegen Nicolaus Copernicus.)
In:
Kwartalnik historii nauki i techniki, 23.Jg., 1978, S.179-186. -
Besprechung dazu von Werner Thimm in: Zeitschrift für die
Geschichte und Altertumskunde Ermlands Bd.40, 1980, S.174f.
[61] Weichbrodt Bd.3 S.181.
[62] Weichbrodt Bd.1 S.441, Bd.3 S.181.
[63] Nebenbei sei erwähnt, daß dieser Lucas Krieger,
späterer Thorner Bürgermeister, Teile des Gutes
Vogelsang
erwarb, das im 14. Jahrhundert bis 1416 im Besitz der Familie
Watzenrode gewesen war. Weichbrodt Bd.3 S.181; Wentscher S.25, 27.
[64] Hermanowski S.168.
>[65] Bischof Dantiscus, eigentlich Johannes von Höfen
genannt
Flachsbinder, nannte
sich nach seinem Geburtsort Danzig. [Hermanowski S.166]. Über
seine Familie ließ sich weder in der
Westpreußenkartei
[Auskunft K.D. Kreplin 1992; die Kartei ist derzeit freilich nicht
völlig erschlossen] noch bei Weichbrodt [Mittlg von 1992]
etwas
ermitteln.
Hierzu finden sich bei Weichbrodt [62] weitere Einzelheiten.
Anna Schilling lebte in Frauenburg nicht "von ihrem Mann getrennt", wie
die Frauenburger Quelle glauben macht, sondern als Witwe. Sie hatte 13
Kinder im Alter zwischen 2 und 22 Jahren, die vermutlich alle bei ihr
lebten. Es sind also wohl nicht nur die Reize der Witwe, welcher
moralisch anstößiger Lebenswandel [59] nachgesagt
wurde,
sondern auch die vielen kleinen Kinder, die für die Domherren
unerträglich sein mochten.
Arend van der Schelling war ein wohlhabender Danziger Kaufmann, der ein
eigenes Schiff auf Hollandfahrt hatte und der die Stadt Danzig auf
Hansetagen vertrat. Er hatte vor der Stadt ein Gut mit Land,
Häusern und Gärten, dem er den Namen Schellingsfelde
gab.
Kurz vor seinem Tode 1537 stiftete er dieses Gut dem Danziger
Pockenhause zur Anstellung eines Priesters für die Kranken.
Diese
uneigennützige Stiftung überrascht angesichts der
Tatsache,
daß er die Witwe und 13 Kinder hinterließ, die zu
versorgen
waren. Die Stiftung wird nun erklärlich, wenn man
weiß,
daß Witwe und Kinder zu Copernicus nach Frauenburg zogen und
dort
versorgt waren, und daß die Witwe in Frauenburg sogar ein
Haus
erwarb. Daß die Versorgung seiner Familie in Frauenburg nicht
gutging, hatte Arend van der Schelling auf seinem Totenbett nicht
wissen können.
Für Anna Schilling ist in den Danziger Quellen
(außer der
Falschmeldung, daß sie im Kindbett starb) kein Todesdatum
bekannt. Ich vermute, daß sie nach Königsberg zog,
denn
Copernicus erwähnt in einem an Bischof Dantiscus gerichteten
Rechtfertigungsbrief, daß er "jene Person", nachdem er sie
entlassen habe, nicht wiedergesehen habe, außer einmal "auf
dem
Markt in Königsberg" [66]. So könnte man auch ihre
jüngsten drei Söhne, über die in den
Danziger Quellen
außer ihrem Geburtsdatum nichts bekannt ist, in
Königsberg
vermuten.
Enger Freund von Copernicus und sein Mit-Domherr in Frauenburg war
Tiedemann Giese aus Danzig. Im Januar 1438 verläßt
Tiedemann
Giese Frauenburg, sehr zum Kummer von Copernicus [67],[68]. Nahezu
gleichzeitig wird im Februar 1438 Barbara, die 17-jährige
Tochter
der Anna Schilling, mit einem anderen Tiedemann Giese verheiratet,
einem 47-jährigen Witwer in Danzig [62]. Die beiden Tiedemann
Giese waren Vettern; der eine wurde Bischof von Kulm, der andere
Bürgermeister von Danzig.
[66] Hermanowski S.171.
[67] Heinz Gerlinger: Bischof Tiedemann Giese (1480-1550), Freund des
Nikolaus Kopernikus, und sein Geschlecht. Zeitschrift Genealogie Bd.15
S.465-472, 1981.
[68] Teresa Borawska: Tiedemann Giese (1480-1550) w zyciu wewnetrznym
Warmii i Prus Królewskich. (Tiedemann Giese im inneren Leben
Ermlands und Königlich-Preußens). Olsztyn:
Wydawnictwo
Pojezierze, 1984. - Besprechung dazu von Rafal Wolski in: Altpr.
Geschlechterkunde Bd.19, 1989, S.507.
*****
Vom Bischof Tiedemann Giese gibt es ein mehrfach
im Druck
wiedergegebenes Porträt [67],[69]. Ein weniger bekanntes ihm
zugeschriebenes Porträt gab es im Königsberger
Schloß als hölzernes
Bildnisrelief [70], auf dem er in einer irrealen Palastruine und mit
einem Totenschädel in der Hand so dargestellt ist, als ob er
den
Weltuntergang vorausahnen würde, der dann ja auch für
seine
Welt erfolgte. Wunderbarerweise hat dieses Holzrelief den Untergang
Königsbergs überdauert: von nicht mehr
festzustellender Seite
wurde es in West-Berlin zum Kauf angeboten, so dass es heute im
Berliner Grunewald-Schloss hängt.
#
Unweit davon, in Berlin-Dahlem, hängt das
Porträt von
Tiedemanns Bruder Georg Giese. Dieser war Kaufmann in Danzig und
wirtschaftlicher Berater des Bischofs Tiedemann Giese [69],[71].
Während einer Kaufmannsfahrt hielt sich Georg Giese in London
auf,
wo er sich von Hans Holbein dem Jüngeren ein Porträt
malen
ließ [72]. Auf eine Reproduktion dieses berühmten
Porträts
stieß ich zu meiner Überraschung im Nationalmuseum
von
Kuwait. Und zwar sitzt auf dem Holbeinbild der Kaufmann an einem Tisch,
der mit einem Orientteppich bedeckt ist, und dieser Teppich ist ein
besonderer Typ türkischen Ursprungs, für den das
Holbein-Bild
die älteste Dokumentation darstellt. Unter Experten wird
dieser
Teppichtyp als "Holbein-Teppich" bezeichnet, und einen ganz
ähnlichen Teppich gab es im Kuwaiter Museum - jedenfalls bis
zu
dessen Ausplünderung durch die irakische Armee 1990/91. In der
Museums-Zeitschrift [73] wird Georg Gisze (so die Schreibweise bei
Holbein) freilich als "italienischer" Kaufmann angesehen, ein Irrtum,
auf den ich als Georg Gieses naher Verwandter den Direktor des Museums
hinweisen konnte.
Jedenfalls ist es interessant, aus dem Holbein-Porträt zu
sehen,
daß ein Danziger Kaufmann um 1530 einen wertvollen
Orient-Teppich
im Hause hatte. Die Danziger Kaufleute fuhren teilweise über
Holland und London hinaus bis ins Mittelmeer, worüber man auch
in
den Weichbrodt'schen Bänden vereinzelte Nachrichten findet.
- Der Teppich auf dem Bild ist nicht das einzige Symbol seines
Wohlstands. Neben einer Deckeldose mit Münzen, einem
Fingerring, seinem
Petschaft (Siegel) sieht man links eine Dose: das ist eine Uhr. Erst
kürzlich wurde diese allererste tragbare Uhr erfunden, die man
am
Gürtel oder an einer Halskette trug, für wohlhabende
Leute ein
einzigartiges Statussymbol.
Georg Gieses Frau war Christine Krieger [74], eine Nichte von
Copernicus' Wirtschafterin Anna Schilling geb. Krieger.
[69] Artur Giese: Die Danziger Patrizierfamilie Giese. Danziger
familiengeschichtliche Beiträge, Heft 2, Danzig 1934, S.111.
Nachdruck Verein für Familienforschung in Ost- und
Westpreußen, Sonderschrift Nr.60, Hamburg 1988.
[70] Theodor Müller: Deutsche Plastik der
Renaissance. Reihe Die blauen Bücher, Verlag Langewiesche,
Königstein 1963, S.55. Foto von Helga
Schmidt-Glaßner. - Das
bedeutende Werk ist bei Kriegsende von Russen gestohlen und auf nicht
ganz geklärte Weise nach Deutschland gebracht worden. Es wurde
der
Berliner Skulpturengalerie zum Kauf angeboten. Mtlg Prof.Dr.Helmut
Börsch-Supan, Verwaltung der Staatlichen Schlösser
und
Gärten, Berlin, 1994.
[71] Helmut Strehlau, Das Patriziergeschlecht
Giese in
Danzig, seine
ältesten Generationen und Vorfahren. In: Archiv für
Sippenforschung Bd. 53, 1987, S.146-155. - Besprechung dazu von Werner
Thimm in: Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde
Ermlands Bd.45, 1989, S.207.
[72] Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz Berlin, Hans
Holbein d.J., Bildnis des Kaufmanns Georg Gisze, 1532. - In zahlreichen
Kunstbänden und Kunstkalendern reproduziert. S.a. Giese [69]
S.113.
die älteste Dokumentation darstellt. Unter Experten
wird
dieser Teppichtyp als "Holbein-Teppich" bezeichnet, und einen ganz
ähnlichen Teppich gab es im Kuwaiter Museum - jedenfalls bis
zu
dessen Ausplünderung durch die irakische Armee 1990/91. In der
Museums-Zeitschrift [73] wird Georg Gisze (so die Schreibweise bei
Holbein) freilich als "italienischer" Kaufmann angesehen, ein Irrtum,
auf den ich als Georg Gieses naher Verwandter den Direktor des Museums
hinweisen konnte.
Jedenfalls ist es interessant, aus dem Holbein-Porträt zu
sehen,
daß ein Danziger Kaufmann um 1530 einen wertvollen
Orient-Teppich
im Hause hatte. Die Danziger Kaufleute fuhren teilweise über
Holland und London hinaus bis ins Mittelmeer, worüber man auch
in
den Weichbrodt'schen Bänden vereinzelte Nachrichten findet.
Georg
Gieses Frau wiederum war Christine Krieger [74], eine Nichte von
Copernicus' Wirtschafterin Anna Schilling geb. Krieger.
[73] Kuwait National Museum Newsletter 22, 1989, S.20.
[74] Weichbrodt Bd.3 S.181.
*****
Leider stößt man weiterhin auf unrichtige, teils
politisch
motivierte Äußerungen zur Nationalität von
Nicolaus
Copernicus. Daß er angesichts Herkunft und Muttersprache ein
Deutscher war, darüber sollte keine Diskussion mehr
nötig
sein. Als Copernicus geboren wurde, war Thorn als eine deutsche Stadt
bereits 240 Jahre alt, älter als heute die USA. Aber
Copernicus
lebte außerhalb der deutschen Reichsgrenzen.
Er war ein Untertan des polnischen Königs. Ihn aber deswegen
als
einen Polen anzusehen, ist genauso absurd, als würde man die
polnischen Dichter Mickiewicz und Sienkiewicz als Russen bezeichnen,
nur weil sie als Folge der polnischen Teilung und des Wiener Kongresses
Untertanen des Zaren waren, der in Personalunion König von
Polen
war.
Selbst die Encyclopædia Britannica und ihr
französisches
Gegenstück, die Encyclopædia Universalis, bezeichnen
Copernicus falsch als einen "polnischen" Astronomen [75]. Wie
unseriös hier die Encyclopædia Britannica ist,
erweist die
Tatsache, daß in dem vierspaltigen Artikel unter dem
Stichwort
"Copernicus" das Land Preußen überhaupt nicht
vorkommt; auf
den preußischen Landtag, für den Copernicus eine
Münzreform plante, wird als "certain Polish provinces" Bezug
genommen. Das ist nichts anderes als eine völlig
unverständliche Geschichtsverfälschung, zumal die
hier
ersichtliche Münzhoheit des preußischen Landtags
dessen
Souveränität erweist.
Hermanowski [76] stellte ihm für die verschiedenen
Zeitabschnitte
seines Lebens hypothetische "Reisepässe" aus. Danach war er
ein
Preuße. Copernicus selbst hat Preußen als sein
Vaterland
angegeben. (Vergl. Helmut Freiwald [77]). Auch für die
frühen
polnischen Copernicus-Forscher Jan Brozek 1618 und Simon Starowolski
1625/1627 lagen Geburtsort und Wirkungsstätten des Copernicus
selbstverständlich in Preußen, nicht in Polen [78].
Freilich war das damalige Preußen, das wir heute mit
"Altpreußen" bezeichnen, ein anderes als das des 19.
Jahrhunderts
mit der Hauptstadt Berlin; ebenso ist das heutige Polen ein anderes als
das um 1500 mit der Hauptstadt Krakau.
Über den Status des Landes Preußen gab es stets
kontroverse
Meinungen. In der Goldenen Bulle Kaiser Friedrichs des II. von 1226
wurde dem Deutschen Orden der Besitz des Kulmerlandes
bestätigt
und die Ermächtigung erteilt, das Land der heidnischen
Prußen zu erobern. Dadurch wurde das Preußenland
aber nicht
juristisch dem Reich einverleibt, denn die Bulle erließ der
Kaiser in seiner Eigenschaft als Beschützer der Kirche, und
nur in
dieser Eigenschaft konnte er außerhalb der Reichsgrenzen nach
kanonischem Recht aktiv werden [79].
Der Hochmeister war
kein
Reichsfürst. Andererseits war mit dem Erlaß der
Bulle sicher
auch eine politische Absicht des Kaisers verbunden.
Gerichtsbarkeit, Bodenregal und anderes im Ordensland glichen den
Verhältnissen im Reich, so daß zwischen
Preußen und
dem Reich eine politische Beziehung besonderer Art bestand, zumal der
Deutsche Orden mitsamt seiner Siedlungspolitik eine nationale deutsche
Angelegenheit war [80].
Nach den Kriegen zwischen Polen und dem Deutschen Orden wurde im
zweiten Thorner Frieden von 1466 wieder auf die Goldene Bulle Bezug
genommen, aber die politischen Kräfte waren nun anders. Zu
Copernicus' Zeiten war Preußen ein eigenständiges,
recht
komplexes Staatsgebilde, in dessen verschiedenen Teilen der polnische
König verschiedene Funktionen und Rechte hatte, über
deren
Ausmaß es oft Uneinigkeit gab.
Copernicus' Geburtsstadt Thorn lag im westlichen Teil, der sich unter
der Führung des preußischen Städtebundes
und in
Gegnerschaft gegen den Deutschen Orden unter den Schutz des
Königs
von Polen begeben hatte, der hier nun, bei relativ großer
Unabhängigkeit der Städte, als eine Art Herzog
("dominus et
heres") herrschte. Er hatte diesen Titel in Personalunion mit anderen
Titeln, die auch Litauen und zeitweise selbst Böhmen und
Ungarn
umfaßten.
Im östlichen Teil mit der Hauptstadt Königsberg
regierte
weiter der Deutsche Orden, dessen Hochmeister 1466 dem polnischen
König den Treueid leisten mußte. 1525 bei der
Gründung
des weltlichen Herzogtums blieb das Land unter der Lehnshoheit Polens.
Der westliche Teil hieß das "königliche
Preußen", der
östliche das "herzogliche Preußen". Dazwischen lag
das
Fürstbistum Ermland, in dem Copernicus den
größten Teil
seines Lebens verbrachte. Ermland stellte einen selbständigen
Staat dar, dessen militärischer Schutz bis 1466 dem Orden,
dann
dem polnischen König oblag. Der Fürstbischof, der vom
Frauenburger Domkapitel gewählt wurde, ein gebürtiger
Preuße sein mußte [81] und oft aus einer Danziger
Ratsfamilie stammte, hatte die Funktion eines Staatsoberhauptes.
Copernicus hätte also einen fiktiven ermländischen
Reisepaß haben müssen. Den hätte er sich
zeitweilig
selbst ausstellen können, als er, während der
Bischofsstuhl
von 1523 bis 1525 nicht besetzt war, General-Administrator des
Ermlandes war [82].
In dieser Zeit, gegen Ende der Ordensherrschaft, mußte er
gegen
den kriegerischen Einfall des Ordensheeres den polnischen
König
als Schutzherrn Ermlands zu Hilfe rufen, der das vom Ordensheer
verwüstete Fürstbistum unter seinem neuen Bischof
Mauritius
Ferber, einem Bruder des Danziger Bürgermeisters Eberhard
Ferber
[83], als eigenständigen Staat bestätigte. Polen als
Schutzmacht hatte hier die Ordnung wieder hergestellt, so daß
Copernicus nun nach Frauenburg zurückkehren konnte. Er
ließ
die vom Ordensheer zerstörte Domburg wieder aufbauen und
konnte
sich nach den "revolutionibus orbis terrae" nun wieder den
"revolutionibus orbium coelestium" widmen.
*****
Der Erstdruck seines Hauptwerkes "De Revolutionibus" soll
Copernicus in Frauenburg am Tage seines Todes am 24.5.1543 erreicht
haben. Es wurde in Nürnberg gedruckt, und zwar bei Johannes
Petreius, der bisher schon bedeutende humanistische und
wissenschaftliche Druckschriften herausgebracht hatte.
> Titelblatt
[84]<
Im Oktober 2003 hatte ich anlässlich eines
Lemmel-Familientages in
Nürnberg eine Stadtführung durch den verdienstvollen
Altstadt-Experten Erich Mulzer. Oben von der Burg blickten wir auf eine
Stadtgasse hinunter, in der zwischen lauter neu gebauten
Häusern
ein einziges unversehrt gebliebenes Fachwerkhaus den Bombenkrieg
überlebt hatte. Erich Mulzer hatte erst kürzlich
herausgefunden, dass dies das Haus des Buchdruckers Johannes Petreius
war. [84]
[Foto
H.D. Lemmel
2003]
[75]
The New Encyclopædia Britannica, 15th ed. 1988, Bd.3 S.610
und
Bd.16 S.760. Copernicus, Nicolaus: "Polish astronomer". -
Encyclopædia Universalis, Paris 1985, Bd.5 S.483:
"L'astronome
polonais Nicolas Copernic".
[76] Hermanowski S.11.
[77] Helmut Freiwald, Hat sich europäische Vergangenheit nach
der
Gegenwart zu richten, oder zu welcher Nation gehört Nicolaus
Copernicus? In: Geprägte Form. Festschrift für Robert
Rie,
State University College at Fredonia, New York. Wien 1975, S.15-24. -
Besprechung dazu von Werner Thimm in: Zeitschrift für die
Geschichte und Altertumskunde Ermlands Bd.38, 1976, S.166.
[78] Werner Thimm in: Zeitschrift für die Geschichte und
Altertumskunde Ermlands Bd.41, 1981, S.180. Besprechung zu Erna
Hilfstein, Starowolski's Biographies of Copernicus, in: Studia
Copernicana Bd.21, Ossolineum 1980.
[79] Erich Weise, Interpretation der Goldenen Bulle von Rimini
(März 1226) nach dem kanonischen Recht, in: Acht Jahrhunderte
Deutscher Orden in Einzeldarstellungen, Band 1 der Quellen und Studien
zur Geschichte des Deutschen Ordens, Bad Godesberg 1967, S.15-47.
[80] Ingrid Matison, Zum politischen Aspekt
der Goldenen
Bulle von Rimini, gleiche Publikation wie [79], S.49-55.
[81] Brief von Herzog Albrecht 1548 an den König. Werner Thimm
in:
Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands
Bd.44,
1988, S.163.
[82] Hermanowski S.122.
[83] Weichbrodt Bd.1 S.168.
>[84] Erich Mulzer, Das Haus
Ölberg 9, ein neun
entdecktes
Nürnberger
Geschichtsdenkmal, in: Nürnberger Altstadtberichte Nr.5,
Nürnberg 1980,
S.51-84.
Ende
Hierzu schrieben die "Thorner Nachrichten" (Heimat-Journal der
Patenstadt Lüneburg für die Thorner aus Stadt und
Land) 2003,
Seiten 19-20
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