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Ostpr.Lemmel
Ergänzung:
Aus dem Fotoalbum
der Posener Lemmel-Familie
Die
Posener
Lemmel-Familie
Der Militär-Intendantur-Assessor Ernst Lemmel und Charlotte
Peter, Tochter des Zigarrenhändlers Carl Peter, heirateten im
Königsberger Dom am 27.10.1898. Im Jahr 1900 zogen sie nach
Posen,
wo Ernst Lemmel den Militärdienst verließ und als
Stadtrat
mit dem Armendezernat betraut wurde.
1902 bis 1907 wurden vier Kinder
geboren: Gerhard, Heinz, Hanna, Gertrud. 1913 bezog die Familie ein
eigenes Haus in der Clausewitzstraße (heute ulica Klonowicza).
Erinnerungen
an Charlotte Lemmel geb. Peter (25.12.1870 – 18.11.1956)
geschrieben
im Dezember 1956 von ihrem ältesten Sohn Gerhard
Lemmel
[kleine
Ergänzungen und Bilder vom Enkel Hans-Dietrich Lemmel]
Unsere
Mutter war die letzte aus der Generation unserer Eltern. Sie verband
uns noch mit unserer Kindheit, sie wurzelte noch in der guten alten
Zeit. Ihre Wiege stand zwar unter dem Weihnachtsbaum eines
Kriegsjahres. Sie wuchs dann aber in der über
40-jährigen
Friedenszeit des Kaiserreiches heran. Sie verlebte ihre Jugend
sorgenfrei in der alten Wohnung mit den großen hohen
Räumen in der
Kneiphöfischen Langgasse in Königsberg Pr., die ich
auch noch
gekannt habe, die auch mich mit ihren schalldämpfenden
Teppichen und
mit einem durch dunkle Tapeten und
verhältnismäßig kleine Fenster
hervorgerufenen Halbdunkel einen unheimlichen Eindruck gemacht hatte.
[Es war das Wohn- und Geschäftshaus der Firma "Carl Peter,
Zigarren-Import", Kneiphöfsche Langgasse 36, das bis zur
Bombardierung im August 1944 im Besitz der Familie stand.]
In diese
Friedensjahre fallen auch die Sommerausflüge der alten
Königsberger
Familien an die schöne Samlandküste, damals nach
Neukuhren, wo
manche Königsberger Familie ein Sommerhäus'chen
besaß oder eine
Wohnung für den Sommer mietete. Diese Sommerferien in
Neukuhren
gehörten auch noch während unserer Posener Zeit zu
den schönsten
Erinnerungen. Bevor die Eisenbahn bis Neukuhren hinaus gebaut war,
waren es Unternehmungen mit einem großen Leiterwagen, auf dem
Betten
und Haushaltsgerät hinausgefahren wurden. An eine solche
Leiterwagenfahrt habe ich noch eine dunkle Erinnerung, auch an die
Hasenkuhle bei Neukuhren, einem windgeschützten
Dünengelände, in
dem wir unter Aufsicht unserer Mutter oder eines dienstbaren Geistes
im Sande spielten. Wesentlich lebhafter erinnere ich mich noch an die
beiden Großmütter Peter und Lemmel, von denen die
Großmutter Peter
ein Häus'chen an der Hochuferpromenade bewohnte, das von einem
großen Grundstück mit großen Himbeerhecken
umgeben war, an die
Kinderfeste mit Lampionumzug und Wagenkorso, für den unsere
Mutter
uns immer besonders schön auszuschmücken verstand, an
den
Lachsbach, an den Lügenstein.
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Neukuhren
1910, mit den 4 Lemmel-Kindern. Wer die anderen 4 Kinder sind, ist
unbekannt.
Nach
dem Tode der Großmütter [Marie Lemmel geb. Schumann,
† 1911;
Mathilde Peter geb. Kadgiehn, † 1914] wurde Georgenswalde
mit dem
Sommerhäus'chen von Onkel Paul Lemmel der Familiensammelpunkt.
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Gerhard,
Heinz, Hanna, Gertrud in Georgenswalde 1914
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Lotte
mit ihrem Bruder Waldemar Peter in Georgenswalde 1914
Samlandküste,
Fotos von 1914
Als
dann vor dem zweiten Weltkrieg die Enkel heranwuchsen, wurden die
Sommerferien an der Samlandküste beibehalten, nun wurde
Rauschen der
Treffpunkt.
Rauschen
Die
Heirat führte unsere Mutter um die Jahrhundertwende nach
Posen,
zunächst als Intendanturratsfrau, bald darauf als
Stadtratsfrau. (Siehe Meldekartei.)
Lotte
Peter und Ernst Lemmel 1897, vor ihrer Heirat 1898.
Das Leben dort
an der Seite meines Vaters war ein glückliches. Wir vier
Kinder
wurden von 1902 bis 1907 geboren. [Im
Bild Gerhard, geboren 1902.]
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Ernst
Lemmel, zunächst in der Militärverwaltung, dann
ziviler Stadtrat in
Posen,
mit
seiner Frau Charlotte geb. Peter und dem Sohn Gerhard, geboren am 23.
Januar 1902.
Rechts
das Rathaus, in dem der Stadtrat amtierte.
Heinz,
Hanna, Gertrud, Gerhard 1909 in "Ludwigshöhe"
Wir haben
schöne Erinnerungen an die geräumige Wohnung in dem
weinberankten
Eckhaus in der Hardenbergstraße. Wie oft hat die ganze
Familie an
dem großen Ausziehtisch des Eckzimmers gesessen und gebastelt.
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Stadtplan
Posen. Die Lemmel-Schauplätze: Das Rathaus rechts oben, links
davon
der Wilhelmsplatz, unweit davon die Theaterstraße. Links
unten
(Pfeil) die Hardenbergstraße.
Am östlichen Ende der
Hardenbergstraße, unter dem A von St.Lazarus, ist im Stadtplan
von 1910 ein unbebautes Viereck mit Schrebergärten. Hier hatten
auch die Lemmels einen Schrebergarten. Quer durch wurde
die Clausewitzstraße gebaut nebst dem
Lemmel-Haus: schwarz eingezeichnet.
Die
erste Posener Wohnung (1900-1901) lag in der Theaterstraße.
Vor der
Geburt des ersten Sohnes Umzug an den Wilhelmsplatz (Foto von 1959),
Wilhelmstraße 10, 3.Stock. Einige Jahre danach Umzug in das
Eckhaus
Hardenbergstr. 4.
Wir
Jungens waren mit dem Steinbaukasten beschäftigt oder
schnitten uns
Soldaten aus, die wir auf Pappe klebten und mit einem
Holzklötzchen
zum stehen brachten, die Mädels spielten mit ihren Puppen. Es
waren
die Jahre des Wohlhabenheit, der großen gesellschaftlichen
Veranstaltungen mit Mietköchin und festlich gedeckten Tischen.
Die
eigentümliche Atmosphäre dieser Geselligkeiten
tönte zu uns in
unser danebenliegendes Schlafzimmer herüber. Es war die Zeit
der
Kaiserbesuche und der Kostümfeste, an denen auch die Eltern
teilnahmen. Es war die Zeit der gemeinsamen Ausflüge der
befreundeten Familien in die sehr reizvolle Umgebung von Posen,
insbesondere in die Wälder von Untersberg und Moschin und
Ludwigshöhe.
Etwa
1913 konnten wir in ein schönes großes eigenes Haus
einziehen, das
unser Vater im Posener Stadtteil Lazarus gebaut hatte, in der
Clausewitzstraße Nr.5.
Das
1913 erbaute Lemmel-Haus in Posen.
Die
vier Kinder Gertrud (Tutsen), Hanna, Gerhard, Heinz
In
Hankensbüttel zeichnete Tante Hanna einen Plan des Gartens
Clausewitzstr. 5, den sie auch mit einigen Fragen an Heinz und
Gerhard schickte. (Die Bleistiftzeichnung ist so blass, dass ich sie
nachzeichnen musste.)
Unserer Mutter
Reich war der große Garten. In dem Blumengarten standen viele
hochstämmige Rosen. In
dem Nutzgarten hatten wir viele Erdbeeren und im Kriege auch
Hühner
und eine Ziege.
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Unserer
Mutter Reich war auch die große Wohndiele im oberen
Stockwerk, wo
sie uns Kinder versammelte und mit uns dank ihrer Geschicklichkeit
und künstlerischen Phantasie kleine Handarbeiten machte,
kleine
Geschenke herstellen ließ, mit denen die ganze Verwandtschaft
zu
Geburtstagen und zu Weihnachten beglückt werden konnte.
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Um
1915 in Posen: Hanna, Gertrud, Mutter Lotte, Gerhard, Heinz
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Ernst
Lemmel, Intendanturrat im Ersten Weltkrieg. Als 1914 der russische
Angriff auf Posen drohte, war die Familie bis Ostern 1915 nach Berlin
evakuiert, erst beim Bruder Franz Lemmel, dann in einer Mietwohnung
in Berlin-Friedenau, Stubenrauchstraße.
Doch dann
endete jäh diese glückliche Zeit mit dem
Hereinbrechen des ersten
Weltkrieges, mit den großen Sorgen, vier hungrige
Kindermünder zu
stopfen. Mit großer Hilfsbereitschaft setzt sich unsere
Mutter in
den Kriegsjahren ein, im Bahnhofsdienst des vaterländischen
Frauenvereins, in der Massenspeisung, durch Leitung einer
Ausgabestelle, die auf unserem Schulweg lag, in der wir gern
einkehrten und als Vorgericht vor unserem eigentlichen Mittag noch
einen Teller Grießbrei oder Erbsensuppe vertilgten.
1919
musste sie zum ersten Mal ihren Wohnort und ihr schönes Heim
verlassen, wenn es auch zunächst in die alte Heimat
Königsberg
zurückging. Wir schlupften in dem Haus von Onkel Paul Lemmel
in der
Königstraße 8 unter, bis die Eltern eine Wohnung auf
dem
Hintertragheim mieteten.
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Die
Silberhochzeit 1923
Es
kamen die schweren Jahre des Niederganges, die Nachkriegsjahre mit
den Straßenkämpfen in Königsberg, mit dem
Verlust des gesamten
Vermögens in der Inflation, die Zeiten der wachsenden
Arbeitslosigkeit, in denen auch unser Vater keine befriedigende
Tätigkeit mehr fand. [Dass er dann die Familie
verließ und bis zu
seinem Tod am 22.7.1939 in Berlin lebte, Lichterfelde, Kadettenweg
39, wurde in der Familie totgeschwiegen. Die Familie in
Königsberg
hatte derweil ein gutes Auskommen von den Erträgnissen der
Firma
"Carl Peter Zigarrenimport".]
In
den 20ger und 30ger Jahren gingen wir vier Kinder aus dem Haus, in
den Beruf, heirateten. Eine sich anbahnende glückliche
Entwicklung
des Lebens wurde jäh durch den zweiten Weltkrieg abgebrochen.
Es war
wohl ein Segen, dass unser Vater diesen zweiten Krieg nicht mehr
erlebte und kurz vorher starb. Unsere Mutter aber war dazu
ausersehen, auch diesen Krieg mit seinen Schrecken auch für
die
Zivilbevölkerung durchzustehen.
Sie erlebte
die Vernichtung ihrer Heimatstadt Königsberg, war dann lange
Zeit
abgeschnitten in ihrem Evakuierungsort im polnisch besetzten Glatzer
Bergland und musste als 75-jährige Frau die
zehntägige
Evakuierungsfahrt in plombiertem Viehwagen von Mittelwalde bei Glatz
nach Westdeutschland über sich ergehen lassen.
Die
Familie hatte sich inzwischen in Isenhagen-Hankensbüttel,
einem
kulturell hochstehenden ehemaligen Kreisstädtchen am
Südrand der
Lüneburger Heide gesammelt, wo das Pfarrhaus Isenhagen einen
Kristallisationspunkt darstellte und eine neue Heimat bildete. Veras
Schwester mit ihrem Mann Pastor Gehrcke waren nach der Ausbombung in
Hannover hierhin verschlagen worden.
Hierher
kam eines Tages ein Telegramm aus Westfalen, das unsere Mutter von
der Endstation ihres Bahntransportes mit einer Frage nach dem
Verbleib der Kinder schickte und Hanna konnte sie dann in die Familie
zurückholen.
Und nun
mündete dieser stürmische Lebensweg doch noch ganz
allmählich in
einen glücklichen und behaglichen Lebensabend für
meine Mutter ein.
Und wir können unserer Schwester Hanna nicht dankbar genug
sein, das
soll auch hier ganz besonders ausgesprochen werden, dass sie ihre
Mutter liebevoll betreute, dass sie ihr ein treuer, umsorgender
Lebenskamerad wurde und ein für beide Teile
wunderschönes
Verhältnis zwischen Mutter und Tochter herstellte. Auch die
wirtschaftlichen Sorgen schwanden bald, als Hanna als Lehrerin
Beamtin wurde und als unsere Mutter wieder ihre Stadtratspension
erhielt.
Die
Unterbringung war zunächst noch primitiv, zu zweit in einem
größeren
Zimmer eines Gutshauses der dortigen Domäne. Aber vor einigen
Jahren
konnte dann Hanna ihr eigenes Siedlungshäus'chen bauen und
konnte
unsere Mutter wieder in eigenen vier Wänden umhegen. Diese
wunderschöne harmonische Atmosphäre in diesem
Häus'chen haben wir
bei allen Besuchen immer wieder miterlebt. Es ist so, als ob die
Symphonie ihres Lebens, die so melodiös und harmonisch begann,
nach
dem Presto und den Dissonanzen der beiden Kriege noch in einen
ruhigen, harmonischen Schlußsatz ausklingen mußte.
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Und
welch ein Segen lag darin, daß unsere Mutter bis zuletzt
nicht nur
geistig völlig klar, sondern sogar von einer unglaublichen
geistigen
Regsamkeit war. Ein erstaunliches Gedächtnis, eine warme
Anteilnahme
an den persönlichen Geschicken der näheren und
weiteren Familie,
ein tätiges Helfen dort, wo Hilfe notwendig war, ein lebhaftes
Interesse auch für die Ereignisse des Tages und des
politischen
Lebens ließ sie immer noch voll im Leben stehen. Sie war wohl
körperlich mit ihren mehr als 80 Jahren schon behindert,
konnte aber
doch immer noch allein umhergehen und war bis zuletzt der
begeisterungsfähigste Gast in Hannas wunderbarem Blumengarten
und
verfolgte hier mit Freude und Verständnis das Wachsen und
Blühen.
Kummer bereitete ihr nur die Abnahme des Sehvermögens. Einige
Zeit
konnte sie noch mit einem größeren
Vergrößerungsglas lesen, dann
schaffte sie nur noch die großen Überschriften und
schließlich
mußte sie es zu ihrem großen Leidwesen ganz
aufgeben. Sie freute
sich aber immer, wenn ihr vorgelesen wurde, wollte genau über
das
unterrichtet sein, was in der Zeitung stand, und erfreute sich
besonders an ihrem Radioapparat, der ihr mit guter klassischer Musik
viel Freude geschenkt hat.
Sie erlebte
das Aufwachsen ihrer sechs Enkelkinder, solange diese in
Hankensbüttel lebten. Und auch später fanden die
Enkel und Kinder
aus Lüneburg und Bremervörde häufig nach
Hankensbüttel. Sie war
der Mittelpunkt der Weihnachtsfeiern, zu denen sich jedes Jahr noch
die ganze Familie in Hankensbüttel zusammenfand, hatte sie
doch
selbst ihren Geburtstag am 1. Weihnachtsfeiertag. Zu ihrem 80.
Geburtstag konnte ihr ältester Enkel Ernst Martin schon eine
kleine
Ansprache halten.
Und
jedesmal schieden wir mit bangem Herzen und mit der stillen Frage an
das Schicksal, ob es das letzte Zusammensein gewesen sein
könnte. Es
muß als eine besondere Fügung angesehen werden,
daß ihre Tochter
Gertrud, die seit 20 Jahren in Südwestafrika lebt und dort
inzwischen eine kleine Familie gegründet hat, in diesem Jahr
noch
einmal mit ihren Kindern nach Deuscthland kommen konnte und ein
Vierteljahr bei ihrer Mutter verbringen konnte.
Mancher
Besucher hat in diesen Jahren das Häus'chen am Mariental 13
aufgesucht und meine Mutter damit erfreut. Wer sie in diesen Jahren
erlebt hat, wird das Bild der zwar vom Alter gebeugten aber geistig
jung gebliebenen 85-Jährigen mit den weißen Haaren,
mit den
lebhaften interessierten Augen, mit dem feinen Humor nicht vergessen.
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[Im
Sommer 1956 litt sie an einer Gallenblasenerkrankung, wegen der sie
im November im Bremervörder Krankenhaus operiert werden
mußte. Nach
Komplikationen starb sie am 18. November. Ihre Urne wurde in
Isenhagen beigesetzt. Die Erinnerungen ihres Sohnes Gerhard
schließen
mit einem ausführlichen Bericht über den
Krankheitsverlauf, den ich
hier fortlasse.]
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Ergänzung:
Aus dem Fotoalbum
der Posener Lemmel-Familie
Ende
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