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zur Stammtafel Lemmel - Prag
einige Urkunden

Die Bamberger Lemmel in Böhmen und Ungarn 1350-1480
von Hans-Dietrich Lemmel, ergänzt bis 2024

Eine erste Version wurde beim Familientag in Bamberg 1973 vorgetragen und
dann gedruckt in "lemlein filii" Heft 2, 1975, S.37-77, Privatdruck. Seither wesentlich ergänzt.

Die Personen:
(Durch Anklicken erhält man ihre "Familienblätter" mit Urkunden-Regesten.)
Wernher Lembel (aus Bamberg) 1351-1368 in Prag unter Karl IV
Mathias Lemmel (wohl Sohn von Wernher) 1380 in Kolin, 1396-1401 in Prag unter König Wenzel, 1401-1410 wohl in Breslau,  1412-1423 Schatzmeister von König Sigmund  in Ofen
Nicolaus Lemmel (wohl Sohn von Wernher) 1381 in Liegnitz, 1400-1415 in Prag, Nachkommen in Mährisch-Schönberg
Conrad Lemlein (aus Bamberg) 1389 Baccalaureus in Prag, dann Bamberg
Michel Lemmel (aus Bamberg)1413 Tetschen/Elbe, dann Nürnberg
Hans Lemlein (aus Bamberg) bis 1420 Schöffe in Kuttenberg, dann Bamberg
Ulrich Lemel 1434 Ratsherr in Ofen
Claus Lemmel (aus Bamberg) 1434 in Schemnitz, 1456 Bürgermeister von Kremnitz
Johannes Lemmel (wohl Sohn von Mathias) 1438-1455 in Hermannstadt als Kammergraf, Münzmeister, Königsrichter, 1448 Preschau
Hans Lemmel (wohl Sohn von Johannes Lemmel) 1467 Ratsherr in Neu-Sohl
Hans Lemlein (aus Nürnberg) 1475 Bürger in Kremnitz

Gliederung:
1.    Die Ursprünge des Lemmelschen Wirtschaftsunternehmens
2.    In Böhmen unter Karl dem IV.
3.    In Böhmen unter König Wenzel
4.    Die nördliche Umgehung Böhmens
5.    Fränkische Unternehmen in Ungarn
6.    Mathias Lemmel, Schatzmeister König Sigmunds   
7.    Weitere Lemmel in Ungarn unter König Sigmund
8.    Johannes Lemmel, Kammergraf König Albrechts des II.    
9.    Johannes Lemmel, Graf von Hermannstadt unter König Ladislaus Postumus
10.  Ungarn unter König Matthias Corvinus


Zahlreiches Material, das zu diesem Vortrag verwendet wurde, stammt
aus  Archiv- und Literatur-Forschungen von Gerhard Lemmel, Bremervörde,
aus Regesten, Veröffentlichungen und Hinweisen von Gustav Gündisch (1), Hermannstadt,
aus Veröffentlichungen und Hinweisen von Wolfgang von Stromer (2-4),
sowie aus Veröffentlichungen von Herbert E. Lemmel (5-10), die teilweise korrigiert werden.

(1)    Gustav Gündisch: Urkundenbuch zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen, Band 5. Hermannstadt, 1974.

(2)    Wolfgang von Stromer: Nürnberger Unternehmer im Karpatenraum; ein oberdeutsches Buntmetall-Oligopol 1396-1412. In: Kwartalnik Historii Kultury Materialnej, Jahrgang 16, Seiten 641-662, Warschau 1968.

(3)    Wolfgang von Stromer: Oberdeutsche Hochfinanz 1350-1450. In: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beihefte 55-57, Wiesbaden 1970.

(4)    Wolfgang von Stromer: Fränkische und schwäbische Unternehmer in den Donau- und Karpatenländern im Zeitalter der Luxemburger 1347-1437. Jahrbuch für fränkische Landesforschung. Institut für fränkische Landesforschung, Universität Erlangen-Nürnberg, Band 31, Seiten 355-363. Neustadt/Aisch 1971.

(5)    Herbert E. Lemmel: Herkunft und Schicksal der Bamberger Lemmel des 15. Jahrhunderts. In: 101. Bericht des Historischen Vereins Bamberg, Seiten 13-220, Bamberg 1965.

(6)    Herbert E. LemmeL Der Heiratskreis der Bamberger und Nürnberger Lemmel des 14 Jahrhunderts. In: Blätter für fränkische Familienkude, Band 9, 1966, Seiten 81 ff

(7)    Herbert E. Lemmel: Miszellen zur Geschichte der Bamberger Lemmel In: Blätter für fränkische Familienkunde, Band 9, 1968, Seiten 263-286.

(8)    Herbert E. Lemmel: Geschichte der erzgebirgisch.vogtländischen Lemmel im 15. -16. Jahrhundert. Deutsches Familienarchiv, Band 43, Seiten 235-348, 1970.

(9)    Herbert E. LemmeL Lampertiner in Ostfranken. Quellen und Abhandlungen zur Geschichte der Abtei und der Diözese Fulda, Band 21, Fulda 1972 Vergleiche: Herbert E. Lemmel: Die ostfränkischen Lampertiner in der Stauferzeit und 100 Jahre später, Vortrag 19.11.1966 in Frankfurt-Höchst; Kurzfassung in: Genealogisches Jahrbuch Band 6/7, Seiten 252-254, 1967.

(10)    Herbert E. Lemmel: Die Bedeutung der Lemmel und ihres Heiratskreises für Bamberg zwischen 1350 und 1450. Vortrag 2.11.1973 in Bamberg.


 
Karl der IV., Wandmalerei in der Burg Karlstein bei Prag.
(Aus dem Buch "Karl IV." von K.Neubert u. K.Stejskal, Verlag Dausien 1978)

1. Die Ursprünge des Lemmelschen Wirtschaftsunternehmens

In den Jahren 1346-1437 herrschten Kaiser Karl der IV. aus dem Hause Luxemburg und seine Söhne Wenzel und Sigmund nicht nur über Deutschland, sondern auch als Könige über Böhmen und Ungarn. Dadurch eröffneten sich für die oberdeutschen Kaufleute einzigartige Bedingungen für die Ausdehnung ihrer Wirtschaftskonzerne auf diese Länder. Führend waren dabei einige Nürnberger Familienunternehmen, die Nürnberger Tuche und Metallwaren gegen ungarische Weine und Ochsen handelten. Unentbehrlich für die Rohstoffversorgung Nürnbergs und Mitteleuropas wurden bald die Bunt- und Edelmetallvorkommen der Sudeten und Karpaten, die von oberdeutschen Unternehmern und Bergleuten ausgebeutet wurden (10, 11, 12).

So tauchen im 14. und 15. Jahrhundert neben anderen fränkischen Familien auch die Nürnberger und Bamberger Lemblin/Lemlein/Lemmel in Böhmen und Ungarn auf.

(Ich verwende die Schreibweise der Namen so, wie sie mir aus den Quellen vorliegt, oder wie sie für eine Person in den mir bekannten Quellen jeweils am häufigsten vorkommt. Zu dieser Zeit kann es für den gleichen Namen viele Schreibweisen geben; zum Beispiel kommt Mathias Lemmel, König Sigmunds Schatzmeister, innerhalb von zehn Jahren in folgenden Schreibweisen vor: Lemmel, Lemmyl, Lemlin, Lämlin, Lemblin, Lumel, Lomel, Lemel.)

Eine Familie Lembelin ist in Nürnberg bereits um 1150 ansässig; wegen der spärlichen Urkundenlage kann man aber erst nach 1300 konkretere Aussagen über die Familie machen (12a). Durch das ganze 14. Jahrhundert zeigen die erhaltenen Urkunden Kontakte der Familie Lemblin/Lemlein/Lemmel zu den Familien Stromer und Holzschuher. Die Ho1zschuher aber können als das älteste Nürnberger Handelshaus angesehen werden (14), und die Stromer betrieben im 14. Jahrhundert das wohl größte Handelshaus Deutschlands (16), das insbesondere an der wirtschaftlichen Erschließung Ungarns führend beteiligt war.

Wirtschaftliche Familienbeziehungen und Heiraten pflegten einander zu bedingen. Wahrscheinlich, aber nicht urkundlich erwiesen, war die ab 1337 in Nürnberg genannte Witwe Irmel Lemblin eine geborene Holzschuher (13), und ihre Mutter war Jutta Stromer.

(Über die Ehe Friedrich Holzschuher - Jutta Stromer, die nur in Chroniken angegeben ist, für die aber ein direkter urkundlicher Nachweis bisher fehlt, siehe die Diskussion bei Herbert E. Lemmel (3). Die bei Adalbert Scharr (15) angegebene (zweite) Ehe des Friedrich Holzschuher mit Jutta Graf widerlegt die (erste) Ehe mit Jutta Stromer nicht.)

Damit ergaben sich für die Bamberger Lemmel einzigartige Bedingungen, um auch ihrerseits ein Wirtschaftsunternehmen aufzubauen.

(Der Großvater von Jutta Stromer war Conrad Esler. Dieser ist gemeinsamer Ahne der meisten führenden fränkischen Untenehmer, die in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts den Edelmetallbergbau im Karpatenraum übernahmen: der Stromer, Eisfogel, Zenner, Ebner und anderer. Diese Verwandtschaften zeigt Wolfgang von Stromer in einer Stammtafel (17), in die auch einige der hier behandelten Lemmel als Nachkommen des Conrad Esler hineingehören.)

Richtungsweisend für die weitere Entwicklung wird dabei, daß die nächsten beiden Lemmel-Generationen Töchter aus den führenden alten Bamberger Geschlechtern der Münzmeister, Tockler und Klieber heirateten (18).

Am Ende der Regierungszeit Karls des IV. sind die Bamberger und Nürnberger Lemlein an wichtigen Handelsplätzen strategisch verteilt:

In den Zentralen in Bamberg und Nürnberg sitzen Conrad bzw Fritz Lemlein im Rat, mit engen Beziehungen zu den führenden Familien, insbesondere den Tockler, Klieber, Münzmeister in Bamberg und den Holzschuher, Stromer und später den Imhoff in Nürnberg.
 

(In Nürnberg sind als Genannte im Größeren Rat: Fritz Lämblein: ab 1357, Werner Lämblein ab 1394, Conradt Lämblein ab 1415, Hannß Lämblein, der spätere Ratsherr und Bürgermeister, ab 1441, Michael Lämblein ab 1485 (18a).)

Wernher Lembel lebt in Prag als Verbindungsmann zum Kaiserhof. Die Handelsstraße nach Prag führt über Eger, wo 1371 Chunrat der Laembel erwähnt wird. In Wien besitzt 1368 Jacobus Lemblinus ein Haus (18b). Schließlich findet sich Wiland Lemel 1374 in Velach (heute Obervellach), dem Zentrum des Kärntner Edelmetallbergbaues (18c).

(Die letzteren sind genealogisch nicht mit Sicherheit einzuordnen. "Chunrat der Laembel von Eger" ist in einem Regensburger Testament erwähnt. Er kann Nachkomme der Nürnbergerin Irmel Lemblin sein, deren Söhne teilweise in die Oberpfalz gehen. - Jacobus Lemblinus ist 1368 in Wien als Sohn des Chunradus Lemblinus erwähnt, als er ein Haus am Graben verkauft, das offenbar bereits dem Vater Chunradus gehört hatte (18b). Dieser könnte von den Bamberger Lemblin abstammen, muß es aber nicht.
- Wiland Lemel in Velach ist mit einiger Wahrscheinlichkeit der Bamberger/Nürnberger Familie zuzurechnen, da große Teile Kärntens und des Kärntner Bergbaus seit langem Bamberger Besitz sind. Es finden sich hier auch andere Bamberger/Nürnberger Familien und die Namensform Lemel kommt sonst in Österreich nicht vor, und nach 1400 lässt sich bei Vorkommen dieses Namens in Österreich die Herkunft aus Franken nachweisen. - In Österreich gibt es insbesondere die steirische Gewerkenfamilie der Lampl (18h) mit Simon Lempl 1463 (18e), Hans Lampl 1472 (18f), Hanns Lampl zu Freundsperg 1537, die ein ähnliches "redendes" Lamm-Wappen wie die Bamberger Lemlein führen, ohne dass eine nahe Verwandtschaft nachweisbar ist.)
  - Nachträgliche Notiz: Siehe Hans-Dietrich Lemmel., 2017, Die Lampl aus Bruck an der Mur.


Damit ergibt sich deutlich die typische Struktur einer Familiengesellschaft (18d) dieser Zeit, die von dem Senior der Familie regiert wird, während andere Mitglieder der Sippe Faktoreien in anderen wichtigen Städten leiten (14). Auf diese Art erreichten manche Familiengesellschaften eine derartige Machtfülle, dass die ständig mit finanziellen Schwierigkeiten kämpfenden Könige und Kaiser von Darlehen der großen Gesellschaften abhängig wurden und ihrerseits Angehörigen dieser Familien einflussreiche politische Posten einräumten.

(11)    Hektor Ammann: Nürnbergs wirtschaftliche Stellung im Spätmittelalter. Nürnberger Forschungen Band 13, Nürnberg 1970.

(12)    Werner Schultheiß: Geld- und Finanzgeschäfte Nürnberger Bürger vom 13. -17. Jahrhundert. Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte Nürnbergs, Band 1, Nürnberg 1967, Seite 111.

(12a)     Hans-Dietrich Lemmel: Nürnberger Lemlein im 14.Jahrhundert. Fernhändler und Montanunternehmer bereits um 1300? In: Blätter für Deutsche Landesgeschichte, Bd.120/1984, S.329-370.

(13)    Herbert E. Lemmel: Heiratskreis (6), Tafel 5.

(14)    Schultheiß (12), Seite 112.

(15)    Adalbert Scharr: Zur Genealogie des Nürnberger Patriziats; Friedrich I Holzschuher und seine Ehefrau Jutta Graf In: Blätter für fränkische Familienkunde, Band 8, Heft 4, Nov. 1962 Seiten 144ff.

(16)    Schultheiß (12), Seite 83.

(17)    Stromer, Hochfinanz (3), Tafel Seite 114.

(18)    Hans-Dietrich Lemmel: Herrn Brunwards Kinder zu Bamberg, in: Blätter für fränkische Familienkunde Bd.33, 2010, S.61-75.

(18a)    Johann Ferdinand Roth: Verzeichnis aller Genannten des größeren Raths. Nürnberg 1802. Hier ist das Sterbejahr des Werner Lemlein ein Druckfehler. Für diesen Hinweis danke ich Herrn Dr. F. X. Pröll von der Stadtbibliothek Nürnberg. Ferner: Stadtbibliothek Nürnberg, Genanntenbuch, Handschrift Amb. 804 2°, und: Beschreibung und Bericht vom Ursprung und Anordnung der Genannten des Größeren Raths allhier in Nürnberg... 1338-1695, Handschrift Amb. 172 2°.

(18b)    Quellen zur Geschichte der Stadt Wien, Teil 3, Band 1, Nr. 126.

(18c)    Archiv Landskron Urk.Nr. S-64. Laut Georg Khevenhüller, in: Archiv für vaterländische Geschichte und Topographie, Band 55 (Klagenfurt 1959) S.72.

(18d)    In der ursprünglichen Fassung dieser Arbeit von 1973/1975 war ich Herbert E. Lemmel gefolgt und hatte etliche Namensträger "Lempel" unserer Familie zugeordnet. Das konnte nicht bestätigt werden.

(18e)    Wiener Stadtarchiv, Augustiner- Urkunden, Handschnft 451, Seite 156.

(18f)    Deutsches Adelslexikon.

(18h)    Hans-Dietrich Lemmel,: Die Lampl aus Bruck an der Mur, Zschr.Adler 2017.


 2.    In Böhmen unter Karl dem IV.

Chunrad Lembelin wird 1305 zusammen mit H. Stromeir, einem Verwandten der Irmel Lemlin, als Bürge in Nürnberg erwähnt (19). Beider Nachkommen, Fritz Lemlein und Peter Stromer, sind 1375 zusammen als Zeugen genannt (20), und auch die Enkel stehen noch in enger Beziehung zueinander, als Werner Lemlein 1393 von Hermann Stromer ein "Eigen bei St. Lorenz am Vischbach gelegen" kauft (21a) und 1403 vorübergehend für einen Besitz Hermann Stromers am Frauentor eingetragen ist (21b).

("Fritz Lemlein, ein Zeug neben Herrn Peter Stromer". Dieser Eintrag im Nürnbergischen Geschlechterbuch (20) ist als "Zeuge" zu deuten und sicher nicht als ein "Besitz" neben Peter Stromer (wie bei H.E. Lemmel (5) S.38f und (6) S.87). Die Originalurkunde hierzu wurde noch nicht aufgefunden.)

Die Beziehungen zur Familie Stromer erstrecken sich damit über drei Generationen und setzen sich noch bis in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts in Siebenbürgen fort, wie wir sehen werden. Man kann daraus schließen, dass die Lemmel mit dem Stromerschen Wirtschaftskonzern zusammenarbeiteten, der am Vischbach seinen Kauffahrteihof, also die Generalverwaltung hatte (16).
Peter Stromer (21c)
Peter Stromer (†1388) war nicht nur Leiter dieses Unternehmens sondern auch führender Politiker Nürnbergs sowie politischer Ratgeber und Finanzier Karls des IV. (22). Auch Fritz Lemlein steht in direkter Beziehung zu Karl dem IV., als er 1379 von Herzog Heinrich von Schlesien anstelle des gerade verstorbenen Kaisers Karl "um erklagte 100 Mark Silbers auf Gut und Veste Wolfstain gesetzt" wird (23a), einer Burg in der Oberpfalz bei Neumarkt, wo die Lemmel seitdem auch als Schöffen im Rat sitzen (23b). Aus Neumarkt stammte auch der Geistliche Johannes von Neumarkt, der von 1353 bis 1374 der kaiserlichen Kanzlei Karls des IV. vorstand (23c).

Aber auch von Bamberg aus bestehen Beziehungen zu Karl dem IV., insbesondere durch Günther Tockler aus Bamberg, der 1363-1367 Notar in der Kanzlei Karls des IV. ist (24). Nur wenig später heiratet Hans Lemlein in Bamberg eine Tockler (6). Gleichzeitig lebt Wernher Lembel in Prag; er ist dort von 1355 bis 1368 beurkundet (25)(25a). Uber seine Tätigkeit dort ist zwar nichts bekannt, jedoch muss man auch ihn zum Gefolge Karls des IV. rechnen, wenn man den ab 1396 am Prager Hof genannten Mathias Lemmel als seinen Sohn ansieht.

Unter Karl dem IV., der mit Anna v.Schweidnitz verheiratet war, kam Schlesien zu Böhmen. In der Folge lassen sich auch die Prager Lemmel vereinzelt in Schlesien nachweisen.

Ein Bruder des Mathias Lemmel in Prag ist der Kaufmann Nikolaus Lemmel, der 1381 in Liegnitz erwähnt ist (25b) und dann von 1400 bis 1415 in Prag (25a). (Nachtrag: Drei Generationen Lemmel, die als Schöffen in Mährisch-Schönberg dokumentiert sind (25c), müssen seine Nachkommen sein.)

Der Prager Wernher Lembel, also der Vater von Mathias und Nikolaus, dürfte ein Bruder des Bamberger Conrad Lemlein sein, der dort 1371-1384 Schöffe ist (27) und dort ein rasch wachsendes Familienunternehmen (5) gründet, das durch mehrere Generationen von den Nachkommen, den "lemlein filii", gemeinsam betrieben wird. Mehrere seiner Nachkommen sind im Kupfer-Bergbau und -Handel in Böhmen und Ungarn tätig, wie wir sehen werden.

(19)    Handschrift im Staatsarchiv Nürnberg, Repertorlum 52 b: Bürgerverzeichnis anno 1302-15, fol. 4a = Liste der in Nürnberg als Bürger aufgenommenen Personen mit ihren beiden Bürgen. Vergleiche Lemmel, Heiratskreis (6), Seite 83, und: C Scheffler-Erhard: Alt-Nürnberger Namenbuch, Nürnberg 1959, und: Georg Wolfgang Karl Lochner, Nürnberger Jahrbücher, Nürnberg 1832, Heft 3, Seite 168.

(20)    Staatsarchiv Nürnberg, Repertorium 52 a, Nr.236, folg. 242. Laut Lemmel, Herkunft (5), Seiten 38f, und Lemmel, Heiratskreis (6) Seite 87.

(21a)    Wilhelm Freiherr von Imhoff Genealogisches Handbuch der... rats- und gerichtsfähigen Familien der vormaligen Reichsstadt Nürnberg, 9. Fortsetzung, Nürnberg 1900, Seite 256. Vergleiche Lemmel, Herkunft (5), Seite 39 und Lemmel, Hefratskreis (6), Seite 88. - 1397 ist am , Vispach' Peter Stromair und uxor, aber kein Lemmel genannt. Staatsarchiv Nürnberg, Losungsliste der Lorenzer Stadthälfte von 1397, Amts- und Standbücher Nr.278, foL 14', lautfreundlicher Mitteilung von Dr. Machilek.

(21b)    1403 ist am ,Frawentor' Hermann Stromeyr genannt. Etwas rechts darunter ist eingefügt: Wernher Lemblin; dieser Name wurde dann später wieder gestrichen. - Staatsarchiv Nürnberg, Losungsliste der Lorenzer Stadthälfte von 1403, Amts- und Standbücher Nr.280, fol 6, laut Dr. Machilek.

(21c)    Porträt Peter Stromer (
1388), Postkarte Mtlg W.v.Stromer 1972.

(22)    Adalbert Scharr: Die Nürnberger Reichsforstmeisterfamilie Waldstromer bis 1400. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg, Band 52, Nürnberg 1963-64, Seiten 1-41.

(23a)    Hauptstaatsarchiv München, Gerichtsurkunden von Sulzburg/Oberpfalz Nr.59 und 68, Signatur jetzt Kurbaiern 22903 und 22900. Siehe auch: Regesta Boica, Band 10, 25, München 1843. Vergl. Lemmel, Herkunft (5), Seite 35, und Lemmel, Hefratskreis (6), Seite 89.

(23b)    Johann Nepomuk von Löwenthal: Geschichte des Schultheißenamts und der Stadt Neumarkt auf dem Nordgau oder in der heutigen oberen Pfalz. München 1805, Seite 235.

(23c)    siehe z.B. Karel Neubert und Karel Stejskal: Karl IV., Verlag Dausien , Hanau, 1978.

(24)    Paul Schöffel: Nürnberger in Kanzleidiensten Karls des IV In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg, Band 22, Nürnberg 1934, Seiten 47-68. Und: Alfons Huber: Additamentum primum ad J. F. Böhmer, Regesta Imperii; Erstes Ergänzungsheft zu den Regesten des Kaiserreiches unter Kaiser Karl IV 1346-1378; Innsbruck 1889. Seite VII und Regest 7107, Seite 741. Und: Regesta sive Rerum Boicarum Autographa, Band 9, München 1841, Seite 162: Günther Tockler von Babenberg 1366 als Secretarius Karil des IV. - 1367 Günter Tockler von Bamberg, Herzog Wenzels Sekretär, Historia Norimbergensis Diplomatica, Nürnberg 1738, Teil 2 S.434.

(25)     Archiv der Stadt Prag; rkp. Nr.986 und 902, Buch der Stadtrechte der Altstadt. Laut Lemmel, Herkunft (5), Seite 38  und Lemmel, Miszellen (7), Seite 274.

(25a)    W.W.Tomek: Základy starého místopisu Prazskeho, Prag 1866-1875.

(25b)    H.Bahlow: Schlesiens Deutschtum im Spiegel seiner Bürgernamen 1250-1500. Ostd.Fam'kde Bd.7 S.143 1975.

(25c)   Stadtbuch Mährisch-Schönberg ab 1410, Internet 2024 unter https://digi.archives.cz/da/, siehe im Lemmel-Archiv http://geneal.lemmel.at/MrS.html. 

(26)    Monumenta Boica, Band 54, München 1956 = Regensburger Urkundenbuch Band 2 1351-1378. Seite 379, Regest 941: Testament Jacob Planer. Original im Hauptstaatsarchiv München, Bestand Regensburg S:1.D 25.

(27)    Stadtarchiv Nürnberg, Löffelholz-Archiv, Urk Nr.6 vom 25.5.1373. Laut Lemmel, Herkunft (5), Seiten 47, 48.

(28) bis (33) entfallen.


 3.    In Böhmen unter König Wenzel


Nach dem Tod Kaiser Karls des IV. wird sein ältester Sohn Wenzel 1378-1400 deutscher König und 1378-1419 König von Böhmen. An seinem Hof ist ein Mathis Lemmel als Finanzbeamter tätig: und zwar erwähnt 1396 Johannes Kirchen, "des romischen kunigs hofschreiber", in einem nach Straßburg gerichteten Brief (34) "von der 30 gulden wegen, die wir Mathis Lemmel beczalen müßten".

In dieser Zeit ist König Wenzels "oberster Schreiber" ein "Johannes von Bamberg", den Wolfgang v.Stromer (34a) als einen Angehörigen der Bamberger Familie Münzmeister identifizierte, mit der die Bamberger Lemlein verschwägert sind.

1398 schickt der Görlitzer Rat drei Abgesandte zu einem Tag nach Lauban. Dabei heißt es in einer Ratsrechnung, daß die von Lauban "zu schaffen hatten mit dem Lemmel von Proge" (35). Es ist wahrscheinlich, daß dieser "Lemmel von Prag" mit dem zuvor genannten Mathis Lemmel identisch ist und im Dienste König Wenzels steht.

Nachdem Wenzel im Jahre 1400 als deutscher König abgesetzt wird - er bleibt König von Böhmen -, wird Mathis Lemmel in Prag nicht mehr genannt. Als aber 1410 die deutsche Königskrone an Wenzels Bruder Sigmund übergeht, der bereits seit 1387 in Ofen als König von Ungarn residierte, da geht auch Mathis Lemmel nach Ofen, wo er alsbald in Sigmunds engerem Gefolge erscheint.

Wenzels Vetter war der Markgraf Jost von Mähren. 1401 erscheint Nicolaus Lemmel unter seinen Gläubigern. Der Markgraf war zwar recht wohlhabend, aber manchmal fehlten ihm sogar verhältnismäßig geringe Beträge an Bargeld. Von Nicolaus Lemmel erhielt er 660 Groschen, wofür dieser einen Goldschmuck zum Pfand erhielt (35a).

Einige Lemmel verbleiben in Böhmen: 1413 erscheint ein Michel Lemmel in der wichtigen böhmischen Grenzburg Tetschen an der Elbe. König Wenzel erhob zu dieser Zeit Anspruch auf einige sächsische Städte, die früher zur böhmischen Krone gehört hatten. Offenbar im Verlauf solcher Fehden wird "Miche1 Lemmel von Tetzschen" 1413 in Freiberg in Sachsen in einer Gruppe von Strauchrittern erwähnt, von denen zwei "gehangen" werden (36).

(Während Michel Lemmel mit dem Leben davonkam, wurde 1460 Markus Lemlein in Grünhain im Erzgebirge "mit dem Stricke vom Leben zum Tode gebracht" (37); der Grund ist unbekannt. Zu dieser Zeit herrschten rauhe Sitten, und nicht nur ein Ritter und Kriegsmann sondern insbesondere auch ein reisender Kaufmann und Unternehmer musste mit dem Schwert umzugehen verstehen.)

Michel Lemmel ist ein Sohn (38) des Bambergers Hans Lemlein, der bis 1420 einer der 13 Schöffen von Kuttenberg ist (39). Kuttenberg, 70 Kilometer östlich von Prag, war ein Zentrum des Buntmetallbergbaus und hatte für die Versorgung Mitteleuropas mit Kupfer eine überragende Bedeutung. Wie andere Bergstädte in Böhmen und Ungarn hatte auch Kuttenberg eine überwiegend deutsche Bevölkerung, so dass es nicht überrascht, dort einen Bamberger als Schöffen zu finden.

(Später hatte die Nürnberger Ebner-Gesellschaft das Kupfermonopol in Kuttenberg (40); eine Ebner war die Frau des kaiserlichen Ratgebers Peter Stromer, des Vetters von Irmel Lemlin geb. Holzschuher.)

In den letzten Tagen des Böhmenkönigs Wenzel (†1419) war sein "oberster Schreiber" 1418 Johannes von Bamberg, der aus der Bamberger Familie Münzmeister stammte (41); er erscheint in Prag im gleichen Jahr 1401 (25a), als Mathias Lemmel von Prag abwandert. Johannes Münzmeister von Bamberg kann am Hof König Wenzels als Nachfolger von Mathias Lemmel anzusehen sein; eine Münzmeister war auch die Mutter des Kuttenberger Schöffen Hans Lemlein (42). Zudem war die erste Frau Hans Lemleins eine Tockler aus der alten Bamberger Familie, die schon 1363-67 mit Günther Tockler einen Notar in der Kanzlei Karis des IV. stellte (29). Wieder sieht man, wie wirtschaftliche Interessen und einflußreiche politische Stellungen innerhalb des Familienkonzerns miteinander verflochten sind.

In Böhmen ergab sich jedoch bald ein katastrofaler Rückschlag durch die Hussitenkriege.

1415 wurde Johann Hus in Konstanz verbrannt, auf dem gleichen Konzil, zu dem Mathias Lemmel König Sigmund begleitete, wie wir sehen werden. Die Folge waren Aufstände der Hussiten in Böhmen. In Kuttenberg gehörte Hans Lemlein als einer der Schöffen wohl zu den Mitverantwortlichen für die Ausrottung der dortigen Hussiten (39). Hierdurch erst erhält der Hussitenkrieg seinen nationaltschechischen-antideutschen Akzent, und die Deutschen müssen 1420 fliehen. Hans Lemlein kehrt zurück nach Bamberg, wo er 1421 seinen Bruder Heinz im Amt als Stadtgerichtsschöffe ablöst (43). Auch sein Sohn "Michel Lemmel von Tetzschen" kehrt aus Böhmen zurück: er ist ab 1431 in Nürnberg und Bamberg beurkundet (44).

In diesen Jahren ist in Bamberg als päpstlich bestellter Richter in Hussitenprozessen der Dekan Conrad Lemlein tätig (45), der zuvor 1389 als Baccalaureus in Prag war (46).

(34)    Johannes Fritz: Urkundenbuch der Stadt Straßburg, 1. Abteilung, Band 6, Politische Urkunden 1381-1400, Straßburg 1899. Seite 630, Regest 1100.

(34a)    Stromer, Fränkische und schwäbische Unternehmer (4), Seite 361.

(35)    Richard Jecht: Codex diplomaticus Lusatiae superioris, Band 3, Görlitz 1905-10: Die ältesten Görlitzer Ratsrechnungen bis 1419. Ratsrechnung vom 14.12.1398.

(35a)    Unter den Gläubigern: 1401 Nicolaus Lemmel, 1400 und 1402 zwei Prager Bürger Wladica und de Pesca. Jaroslav Mezník, Die Finanzen des mährischen Markgrafen Jost (1375-1411), in: Acta Creationis, Unabhängige Geschichtsforschung in der Tschechoslowakei 1969-1980, vorgelegt dem 15. Internationalen Kongress für Gescchichtswissenschaften, Bukarest 1980, ed. Vilém Precan, Hannover 1980, S.69-91, S.85 Anm.79. - "Nicolaus Lemmel exhibuit cisum aureum cum aliis vadiis pro 11 sex. (= 11 Schock Prager Groschen) ex parte marchionis Jodoci." Stadtarchiv Prag, Mscr.997, Prager Stadtbuch, fol. 8 b, 1401.  -  Mitteilung W.v.Stromer 1981.

(36)    Stadtbuch II von Freiberg/Sachsen (1404-1472) foL 13 b, Handschrift im Ratsarchiv Freiberg. Laut Hubert Ermisch: Urkundenbuch der Stadt Freiberg in Sachsen, Band 3. In: Codex Diplomaticus Saxoniae Regiae, 2. Hauptteil, Band 14, Leipzig 1891. Seite 307, Nr. 47 von l4l3 undSeite 3lO, Nr.81 von 1416. Vergl. H.D. Lemmel: Lemlein filii. In: Genealogie, Band 10, Seite 515, Juni 1971.

(37)    Walter Fröbe: Frau Ava - Zwei unterschiedliche Blätter aus dem Tagebüchlein des Malefizschreibers zu Grünhain, 1460-1500. Glückauf- Verlag Schwarzenberg (ohne Jahresangabe), Seite 1. Diesen Hinweis verdanke ich Herrn Willy Roch, Krefeld, dem ich auch für zahlreiche andere Regesten herzlich danke.

(38)    Lemmel, Miszellen (7), Seite 275.

(39)    Stromer, Fränkische und schwäbische Unternehmer (4), Seite 364.

(40)    Richard Klier: Zur Genealogie der Bergunternehmerfamilie Schütz in Nürnberg und Mitteldeutschland im 15. und 16. Jahrhundert. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg, Band 55, Nürnberg 1968, Seite 185.

(41)    Stromer, Fränkische und schwäbische Unternehmer (4), Seite 361.

(42)    Lemmel, Herkunft (5), Seite 46.

(43)    Lemmel, Herkunft (5), Seite 87.

(44)    Lemmel, Miszellen (7), Seite 264.

(45)    HSA München, Gerichtsurkunden Kirchberg, Nr.223, Signatur jetzt Pfalz-Neuburg, Bez. zu Stiften, 609.

(46)    Johannes Kist: Die Matrikel der Geistlichkeit des Bistums Bamberg. In: Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte, Band 7, Würzburg 1965, Seite 255, Nr.3885.



 4. Die nördliche Umgehung Böhmens


Nachdem Böhmen durch die Hussitenkriege versperrt ist, gewinnt die nördliche Umgehung über Zwickau-Chemnitz für den Osthandel an Bedeutung, und alsbald treffen wir dort auch Lemmel an.

1425 wird der Kaufmann Fritz Held von Bamberg, der eine Lemmlin zur Frau hat, zusammen mit einem Stromer und Christian Imhoff in der Nähe von Chemnitz beraubt (47). Kurz darauf, 1427, erwirbt ein "lemel" die Bürgerrechte in Chemnitz, 1437 ebenso "lemel der elder" (48).

Die Tatsache, dass bereits vor der endgültigen Ansiedlung Lemels ein naher Verwandter hier beraubt wurde, weist darauf hin, daß hier an der Handelsstraße nach Schlesien, Polen und in die Ukraine schon eine ältere Niederlassung bestanden haben mag, wenn nicht der Lemmel selbst so doch des größeren Familienverbandes. Chemnitz gewann jetzt an Bedeutung nicht nur durch die Sperre der Prager Osthandelsstraße, sondern insbesondere auch durch den Zuzug zahlreicher Flüchtlinge aus Böhmen. Man wird den "lemel" von 1427 zwar nicht als böhmischen Flüchtling ansehen müssen, sondern wohl eher als Leiter der aufstrebenden Faktorei seines Familienunternehmens; es passt aber in das Bild dieser Zeit, dass als sein Vater der Kuttenberger Schöffe Hans Lemlein angesehen werden muss, der nach dem Rückzug aus Böhmen seine Geschäftsbeziehungen neu ordnen musste. Seine drei Söhne sind mehrfach in Nürnberg und Bamberg belegt. Zwei von ihnen, Hans und Michael, leben als Unternehmer in Nürnberg, und zwar als Partner des Handelshauses Imhoff: die gleiche Partnerschaft Lemmel-Imhoff zeigt sich aber bei dem Überfall von 1425 bei Chemnitz. So bestätigt sich der schon früher geführte Beweis (50), daß es sich bei dem Chemnitzer "lemel" um einen der Bamberger/böhmischen Lemlein handelt, und zwar 1427 um Michel Lemmel aus Tetzschen, der später nach Nürnberg zurückgeht und 1437 in Chemnitz durch seinen älteren Bruder Mertein Lemlein abgelöst wird.  Mertein wird zu dieser Zeit als Bruder von Hans und Michael in Nürnberg genannt, lebt dort aber nicht. Sein ältester Sohn, der ebenfalls Merten heißt (1431 Student aus Bamberg in Wien), erwirbt als Unternehmer von Chemnitz aus im etwa 1460 stark einsetzenden Bergbau des Erzgebirges ein stattliches Vermögen. Hinter Ulrich Schütz gehört er zu den reichsten Männern von Chemnitz. Seine überaus zahlreichen Nachkommen lassen sich dort nieder und leben dort noch heute (49). Sein Sohn Michael ist 1461 und 1480 in Chemnitz als kaiserlicher Notar genannt: "Michael Lemmel imperiali auctoritate notarius approbatus" (51).

(47)    Johann Ferdinand Roth: Nürnberger Handel, Band 1, Nürnberg 1800, Seite 163. Für diesen und andere Hinweise danke ich Freiherrn Haller von Hallerstein. - Vergleiche: Helmut Freiherr Haller von Hallerstein: Landadel und Stadtadel, Handel und Handwerk - Wandlungen in Generationen. In: Blätter für fränkische Familienkunde, Jahrgang 1967, Seiten 78-81. Siehe auch: Lemmel, Herkunft (5), Seite 163.

(48)    Ratsakten Chemnitz Kap. III, Sekt. II, Nr.53 a, Band 1 (Einnahme-Manual 1426-1438) f. 13. Laut Lemmel, Herkunft (5), Seite 174. Siehe auch Lemmel, Miszellen (7), Seite 276.

(49)    Weitere Einzelheiten und Quellenangaben siehe Lemmel, Herkunft (2) Seiten 160ff und Lemmel, Miszellen (4), Seiten 263ff. Zu den Nachkommen Lemmel im Erzgebirge siehe Hans-Dietrich Lemmel: Lemlein filii - Eine Übersicht über die Familien namens Lemmel und Lämmel. In: Genealogie, Band 10, Seite 515, Juni 1971. -

(50)    Hans-Dietrich Lemmel: Lemlein filii Stamm Chemnitz. Manuskript.

(51)    H.Holstein: Urkundenbuch des Klosters Berge bei Magdeburg, Geschichtsquellen der Provinz Sachsen, S.251 Urk.315 und S.313 Urk.477.


5.    Fränkische Unternehmer in Ungarn


Bevor wir Mathias Lemmel, der 1410 vom Prager Hof König Wenzels an den Hof König Sigmunds in Ofen überwechselt, weiterverfolgen, möchte ich die Situation schildern, die er in Ungarn vorfand.

1418 ist Mathias Lemmel in einer Liste von Sigmunds Gläubigern unmittelbar hinter Markus von Nürnberg angeführt (52). Markus von Nürnberg, der aus der Nürnberger Gesellschaft Flextorf-Zenner hervorging (53), war einer der eindrucksvollsten Politiker dieser Zeit in Ungarn. Unter ihm erreicht der Nürnberger Wirtschaftseinfluß in Ungarn seinen Höhepunkt. Das Eindringen der Nürnberger in Ungarn beschreibt Wolfgang von Stromer in einer spannenden und dramatischen Darstellung (8):

Nürnberger Handel mit Ungarn lässt sich bereits 1304/07 nachweisen, als im Handelsbuch der Holzschuher (in dem ja auch ein Lemlein erwähnt wird) Handel mit flandrischen Tuchen und ungarischen Häuten verzeichnet ist. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts erwirbt Nürnberg Handelsprivilegien im gesamten Raum zwischen Flandern und Polen. Ungarn-Privilegien erhalten unter anderen die Stromer, Ebner, Holzschuher, Eisfogel, Schürstab, also der ganze Verwandtenkreis um die Nürnbergerin Irmel Lemlein geborene Holzschuher.

Gleichzeitig wird in Nürnberg das "Seigerverfahren" zur Gewinnung von Kupfer und Silber zur Großtechnik entwickelt. Dadurch bekommen die Nürnberger eine technische Überlegenheit in der Ausbeutung der ungarischen Erzgruben in den Karpaten, wo bisher die Italiener führend waren. Ab 1358 werden die Italiener nach einem Krieg Ungarns gegen Venedig von den oberdeutschen Unternehmern verdrängt.

Der Konkurrenzkampf mit Italien dauert an, als sich um die Königskrone Ungarns gleichzeitig Sigmund, der Sohn Karls des IV., und ein italienischer Kandidat bewerben. Bei der "Wahlkampagne", die nicht gerade mit demokratischen Mitteln geführt wird, unterstützen die Nürnberger Sigmund, und tatsächlich wird Sigmund 1386 König von Ungarn, gestützt auf die deutschen Unternehmer im Lande. Einer von ihnen, Markus von Nürnberg, ist Sigmunds Vertrauter und Autor von Sigmunds fortschrittlicher Verfassungsreform von 1405. Nach der neuen Verfassung darf der gesamte ungarische Export von Gold, Silber und Kupfer nur durch die königliche Kammerverwaltung erfolgen. Kammergraf aber ist Markus von Nürnberg, und dieses Amt wird durch ein halbes Jahrhundert vorwiegend von Nürnbergern und Bambergern besetzt. Dabei muss man beachten, dass zu dieser Zeit nahezu ganz Europa auf die ungarischen Bunt- und Edelmetalle angewiesen war.

Die Nürnberger Seigerhütten in Ungarn benötigten Blei, das aus Polen aus der Gegend von Krakau kam. Für den Blei-Import erhielt ebenfalls Markus von Nürnberg ein Monopol. Dadurch konnte er den Bleipreis drücken, womit er schließlich einen Wirtschaftskrieg zwischen Ungarn und Polen hervorrief. Die Polen antworteten mit einem Blei-Embargo, wodurch aber ihre Haupteinnahmequelle ausfiel. In der Folge mussten sie 1406 ihre Bleibergwerke verpfänden, und zwar ausgerechnet an eine Nürnberger Gesellschaft. Damit war das gesamte ungarische Montanwesen, Bergbau und Metallhandel, fest in der Hand oberdeutscher Großunternehmer.

Kurz darauf ergaben sich jedoch Rückschläge, und 1412 musste Ungarn einen Teil des Bergbaugebietes in den Karpaten an Polen abtreten. Zu dieser Zeit kam Mathias Lemmel nach Ofen an den Hof König Sigmunds.

(52)    Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Minoritenplatz 1. Reichsregister, Band G, Blatt 32 Vorder- und Rückseite.

(53)    Stromer, Hochfinanz (3), Seite 154.

1  2
1 Kaiser Sigmund, böhmisch um 1434.
(Ausstellungskatalog Kaiser Ferdinand I, Kunsthistorisches Museum Wien, 2003, Abb.2 S.78)
2 Kaiser Sigmund, idealisiertes Porträt von Albrecht Dürer
(Postkarte. Original im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, Kopie von um 1600 im Kunsthistorischen Museum Wien)
 6. Mathias Lemmel, Schatzmeister König Sigmunds

Nachdem Mathias Lemmel bereits 1396/98 am Prager Hof mit finanziellen Dingen befaßt war, taucht er 1412 in ähnlicher Funktion in Ofen auf, kurz nachdem Sigmund deutscher König geworden war. (1387 war Sigmund durch die Heirat mit der ungarischen Thronerbin König von Ungarn geworden.)

In der Zwischenzeit scheint Mathias Lemmel in Breslau ansässig gewesen zu sein, denn ein mutmaßlicher Sohn, "Sigismund Lemmel aus Breslau", kommt 1416 nach Krakau, wo er ab 1421 als Altarist nachweisbar ist (53a).


1412 stellt Mathis Lemmel in Ofen einen Schuldbrief für Hans Weysinsteyn, Bürger zu Ofen, über 1000 Gulden in Gold aus (54). Auch Wenzels Hofschreiber Johannes Kirchen geht zur gleichen Zeit von Prag nach Ofen; hier wie da ist er mit Mathias Lemmel zusammen in Urkunden genannt. (34, 55).

In den folgenden Jahren ist unter Sigmunds Urkunden der Name Mathias Lemmel wiederholt zu finden. Nach den Datierungen dieser Urkunden begleitet er Sigmund auf seinen Reisen: Neujahr 1416 in Avignon (54a); Juli 1416 Leeds in England; November 1416 Dortrecht in den Niederlanden; Mai 1417 und Februar/Mai 1418 Reichstag und Konzil in Konstanz; August 1418 Weil am Rhein; September 1418 Ulm; Dezember 1418 und Januar 1419 Passau; September 1422 Nürnberg und Regensburg; September 1423 und Februar 1424 Ofen; schließlich März 1426 Preßburg (55).

Diese Urkunden betreffen meist finanzielle Anordnungen Sigmunds; dabei ist Mathias Lemmel 1416 als Bürge und König Sigmunds "sunderlicher ußgeber", 1417 als Sigmunds Schatzmeister und 1418 als sein Triselier oder Triesler erwähnt. Mehrfach ist er Sigmunds Gläubiger: 1417 sind die Juden von Ravensburg nunmehr dem Mathis Lemmel verschrieben. 1419 hat Sigmund bei ihm 480 Gulden Schulden, die ihm Bernhard Marggraf zu Baden bezahlen soll (55). Unter der Urkunde von 1416 ist das Siegel von Mathias Lemmel erhalten, wovon mir W.v.Stromer freundlicherweise einen Abdruck besorgte, von dem ich eine Zeichnung hier wiedergebe. Es zeigt ein aufsteigendes Lamm in einem Schrägband.

 
Siegel von Mathias Lemmel, 1416 in Avignon (54a).
Links Foto des Wachsabdruckes, rechts Zeichnung.

Aus verschiedenen dieser Urkunden wird deutlich, daß Mathias Lemmel in besonderer Beziehung zu Nürnberg steht. Die zwei Urkunden vom Juli 1416 sind zu dieser Zeit die einzigen Einträge in Sigmunds Reichsregister (56), die Nürnberg betreffen, und auch die einzigen, unter denen der Name Mathias Lemmel steht; danach schuldet Sigmund dem Nürnberger Meister Hartmann Rotsmid, der in Ofen eine Wasserleitung hinaus auf die Königburg gebaut hatte, 2000 Gulden, die aus der Steuer von Nürnberg gezahlt werden sollen. Schließlich ist Mathias Lemmel in den Tagen des September 1423 in Ofen anwesend (55), als die Verlagerung der Reichskleinodien von Ofen nach Nürnberg vorbereitet wird.

Die Reichskleinodien: Krone, Zepter, Schwert

Diese Verlagerung der Reichskleinodien zeigt einmal mehr, wie sehr sich Sigmund auf die Nürnberger verlässt. Offenbar sind die Reichskleinodien in der freien Reichsstadt Nürnberg sicherer als in Sigmunds Residenz Ofen.

Über das politische Wirken Mathias Lemmels läßt sich aus den angeführten Urkunden nur ein allgemeines Bild entnehmen. Er beginnt seine Laufbahn am Prager Hof als junger Mann; am Hof in Ofen dürfte er dann enger Mitarbeiter des Markus von Nürnberg geworden sein, der die Verwaltung und Wirtschaftspolitik Ungarns von Grund auf reformierte; schließlich wird er ab spätestens 1417 Schatzmeister Sigmunds. In dieser entscheidenden Stellung muss er, unter anderem, Verbindungsmann zu den Nürnberger Finanzleuten gewesen sein. Diese haben im Europa dieser Zeit eine einzigartige Stellung inne. Sie beherrschen in hervorragender Weise die Techniken und Praktiken des Geldwesens und der Buchführung, die sie von den italienischen Städten übernommen und weiterentwickelt hatten. Sie stützen Sigmunds Thron schon seit Beginn seiner Regierungszeit, nicht nur durch wirtschaftspolitisches Wissen sondern auch durch massive Finanzhilfe oder durch Boykott der Gegner. So auch im Jahre 1423, als die Nürnberger Finanzleute durch eine gezielte Kreditsperre den Plan einiger Kurfürsten vereiteln, König Sigmund zu entmachten. Diese Stützungsaktion für König Sigmund fällt in die Amtszeit Mathias Lemmels, dem also wohl maßgeblicher Anteil daran zugekommen sein muß (57).

(53a) 1418 Sigismundus Lemmel de Wratislavia in Krakau zum Magister promoviert. Zuvor ab 1411 als Sigismundus Lemmichen an der Universität Leipzig. 1421 und 1436 Altarist in Krakau. - Gustav Bauch: Schlesien und die Universität Krakau im 15. u. 16. Jh., in: Zschr. d. Vereins f. Gesch. Schlesiens Bd.41, Breslau 1907, S.99 ff, hier S.110 Nr.23.


(53b) Friedhelm Brusniak: Henricus Finck de Bamberga, bonus cantor; in: Musik und Kirche 54 (1984) S.281 f, hier S.284. - Und Mtlg F. Brusniak, Inst. f. Musikwissenschaft der Univ. Augsburg.

(54)    Hauptstaatsarchiv München, Klosterurkunden im Repertorienraum, Niederaltaich Nr. 552 vom 10.12.1412.

(54a)    Hohenlohe Zentralarchiv Neuenstein, Bestand GHAD 14 Film 1976/67 des Hauptstaatsarchivs Stuttgart. Fotokopie und Wachsabdruck des Siegels durch W.v.Stromer.

(55)    W. Altmann: Die Urkunden Kaiser Sigismunds 1410-37. Regesta Imperii, Innsbruck 1896. Nr. 1967, 1989, 2280, 2353, 2903a, 3009, 3175, 3212, 3413, 3464, 3721, 3752f, 3761, 3770ff, 5175, 5261, 5294f, 5616ff, 5819, 6601. Vergleiche auch (52) und (56). Ferner: 15.4.1418 verhandeln ,her Latzzembog und der Lämlin' einerseits sowie Hans Rem und Jörg Ploss andererseits, die als Abgesandte der Stadt Augsburg und Konstanz kamen, wegen einer Schenkung von 7000 Gulden, ,dardurch unser herre der bischoff von Gravenek by dem bytume behalten würde'. - Die Chroniken der deutschen Städte, Band 5, Göttingen 1965 - Augsburg, Band 2. 27.9.1423 Ofen siehe auch: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, Band 3. Neue Folge Band 42, Gesamtreihe, Freiburg 1888, Seiten 434 und 441, Kaiserurkunde Nr.642 a.

(56)    Reichsregister (52), Band E, Blatt 153 Rückseite und Blatt 154 Vorderseite. Vergleiche Stromer, fränkische und schwäbische Unternehmer (10), Seite 361.

(57)    Wolfgang von Stromer: Nürnberg und der Frühkapitalismus. In: Unser Bayern; Heimatbeilage der Bayerischen Staatszeitung, Jahrgang 21 Nr.7, Juli 1972 Seiten 49-51.


 7.    Weitere Lemmel in Ungarn unter König Sigmund

Nachdem die böhmischen Kupfervorkommen durch die Hussitenkriege weitgehend ausfielen, wird um 1420 Ungarn für die fränkischen Unternehmer eine besonders wichtige Rohstoffbasis. Zwar wird Sigmund nach Wenzeis Tod 1419 auch König von Böhmen, jedoch kann er sich dort nicht durchsetzen. In den Jahren 1420-1427 versucht Sigmund, die Hussiten zu unterwerfen und Böhmen in Besitz zu nehmen - vergeblich. Es überrascht daher nicht, nunmehr auch in Ungarn zwei Bamberger Lemmel an wichtigen Plätzen anzutreffen, und zwar zwei Neffen von Sigmunds Schatzmeister Mathias Lemmel:

1434 wird in der Bergverwaltung der Silberbergstadt Schemnitz, 100 Kilometer nördlich von Budapest, ein Claus Lemmel genannt (58). Auch er dürfte Bamberger sein und mit dem 1437-1441 in Bamberg genannten Claus Lemlein (59) identisch sein. Bergwerke in Schemnitz hatten zu dieser Zeit auch die Nürnberger Thomas Zingel und Mathes Ebner (60). Thomas Zingel und Claus Lemmel haben in dem Bamberger Bürgermeister und ungarischen Kammergrafen Eberhard Klieber einen gemeinsamen Onkel, während Mathes Ebner als Urenkel Ulman Stromeirs ebenfalls ein weitläufig Verwandter ist. - 1437 betreibt derselbe Mathes Ebner mit Thomas Zingel ein Bergwerk in Goldkronach in Oberfranken (60). In Goldkronach besitzt wenig später auch Johannes Lemmel ein Bergwerk, der ein Neffe des Schemnitzer/Bamberger Claus Lemmel sein dürfte (61).

Im Jahre 1434 ist neben Claus Lemmel in Schemnitz auch ein Ulrich Lemel als Ratsherr in Ofen erwähnt: Als "gesworener purger des Rats der stat Ofen" beurkundet er für die Frau des Hans Ffuh(?)berger in Ofen eine Vollmacht an ihren Bruder Ludwig Nennyng, Bursner in Wien (62). In Ofen gab es eine starke Kolonie deutscher Unternehmer, Kaufleute und Handwerker, und selbst als Bürgermeister gab es Nürnberger und Bamberger (10).

[Ulrich Lemel in Ofen dürfte identisch sein mit Ulricus Lemel, der sich Oktober 1403 unter der "Nacio Renencium" an der Universitat Wien einschreibt (64); er wäre dann etwa 1385/1390 geboren und kann ein Sohn des Mathias Lemmel sein. - Ein älterer Ulrich Lemel ist 1388 in Nürnberg genannt (63).]

Neben dem Bergbaugeschäft exportieren die fränkischen Kaufleute Tuche und Eisenwaren nach Ungarn, von wo sie dafür Schlachtvieh importieren. Der Fleischverbrauch in Deutschland steigt zu dieser Zeit des wachsenden Wohlstandes stark an: selbst Tagelöhner essen täglich pfundweise Fleisch. Riesige Rinderherden werden parallel zur Donau nach Süddeutschland herangetrieben, selbst aus Entfernungen von 1000 bis 2000 Kilometern, also selbst aus Siebenbürgen, der Walachei und der Krim (65,66).

Es zeigt sich, daß das Familienunternehmen der Lemmel der Struktur des Ungarnhandels angepasst war; in eigener Produktion erzeugten sie im Bamberger Zinkenwörth und in der Oberpfalz Tuche und Eisenwaren (68). Wenn sie diese nach Ungarn exportierten, erhielten sie dafür Schlachtvieh, das über weite Entfernungen nach Süddeutschland zum Verkauf herangetrieben wurde.

Der fränkische Raum wurde über eine andere Handelsstraße mit Vieh versorgt: von der Ukraine und Polen über Chemnitz und Zwickau (65). Wir sahen schon, daß an dieser Handelsstraße in Chemnitz 1427 eine Lemmel-Niederlassung eröffnet wurde. Um diese Zeit gibt es auch in Zwickau einen Fleischer und Viehhändler Hans Lemmel (gestorben nach 1460) dessen Vater ein Hencze lemmel war (69).

[Der Zwickauer Hencze lässt sich altersmaßig nicht sicher einordnen. Es ist nur bekannt, daß sein Sohn Hans um 1460 bereits zwei Frauen und zehn Kinder überlebte (69). Demnach ist Hans spätestens um 1415 geboren, wahrscheinlicher jedoch schon um 1400 oder gar früher. Sein Vater Hencze muß also etwa zwischen 1360/90 geboren sein und dürfte daher eine Generation älter sein, als Herbert E. Lemmel (70) annahm. War Hencze, der Vater des Zwickauer Viehhändlers Hans Lemmel, identisch mit dem Bamberger Heinz Lemlein, dessen Schwager der ungarische Kammergraf Eberhard Klieber war?]

(58)    Staatsarchiv Budapest, Film 11 197, Schemnitzer Archiv III.56. Diesen Hinweis verdanke ich Herrn Wolfgang von Stromer. Siehe auch: Budapest Törtenete (Geschichte Budapests). Erscheint 1973. Laut freundlichen Hinweises von Dr. Ivan Borsa, Magyar Orszagos Leveltar, Budapest.

(59)    Lemmel, Herkunft (5), Seiten 96 und 109.

(60)    Stromer, Hochfinanz (3), Seite 316.

(61)    Lemmel, Herkunft (5), Seiten 112-116.

(62)    Stadtarchiv Wien, HA Urkunde 2489. Vergleiche: Quellen zur Geschichte der Stadt Wien, Teil 2, Band 2, Seite 124, Nr.2489. Vergleiche Stromer, Fränkische und Schwäbische Unternehmer (4), Seite 360.

(63)    Nürnberger Meisterbuch anno 1370-83(86) = Liste der Nürnberger Handwerksmeister. Handschrift im Staatsarchiv Nürnberg, Repertorium 52 b, Nr.303, fol. 82 b. Laut C. Scheffler-Erhard: Alt-Nürnberger Namenbuch, Nürnberg 1959. - Ulrich Lembel 1397: Matthias Lex: Nürnberger Personennamen-Buch 1300-1500. Unveröffentlichte Handschrift vom März 1864, Stadtarchiv Nürnberg, Nr.159 Quart, im 2. Weltkrieg vernichtet. Laut C. Scheffler-Erhard, wie eben.

(64)    Die Matrikel der Universität Wien, Verlag Böhlhaus Graz-Köln, Band 1, 1956, 1377-1450. Vergleiche Lemmel, Miszellen (7), Seite 263.

(65)    Friedrich Lütge: Der Handel Nürnbergs nach dem Osten im 15./16. Jahrhundert. In: Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte Nürnbergs, Band 1, Nürnberg 1967 Seiten 318-376, insbesondere Seiten 365f.

(66)     In der ursprünglichen Fassung dieser Arbeit von 1973/1975 folgte ich Herbert E. Lemmel und rechnete auch die Augsburger "Lempel" zur gleichen Familie. Das konnte nicht bestätigt werden.

(67)     entfällt

(68)    Lemmel, Herkunft (5), Seiten 46ff und 62ff

(69)    Totenbuch der Zwickauer Franziskaner für die Stadt Zwickau. Stadtarchiv Zwickau, Signatur 3 Nr.1 fol. 47a. Vergleiche Lemmel, Herkunft (5), Seite 94.

(70)     Lemmel, Herkunft (5), Seiten 94f.



König Albrecht der II. von Habsburg und seine Frau Elisabeth von Luxemburg, Sigmunds Tochter
(Ausstellungskatalog Kaiser Ferdinand I, Kunsthistorisches Museum Wien, 2003, Nr.II.4 und II.5)

 8. Johannes Lemmel, Kammergraf König Albrechts des II.

Nach Sigmunds Tod wird sein Schwiegersohn als Albrecht der II. 1437 König von Böhmen und Ungarn. Albrecht ist Habsburger; zuvor war er schon Herzog von Österreich. 1438 wird er auch deutscher König. Am 27. Oktober 1439 stirbt er bereits.

1438 ist sein Kammergraf in Ungarn für kurze Zeit ein Johannes Lemmel (71)(72), der das Amt vom Bamberger Eberhard Cliber übernahm (73).

Eberhard Klieber war zuvor Bürgermeister von Bamberg. Die Familien Lemmel und Klieber sind in Bamberg zu dieser Zeit mehrfach verschwägert (74). Man sollte daher vermuten, dass der ungarische Johannes Lemmel aus Bamberg stammt, wo es zu dieser Zeit drei gleichnamige Vettern dieses Namens gibt. Aber man kann keine der Bamberger Hans-Lemlein-Urkunden auf den Kammergrafen beziehen.

Vielmehr zeigen die Wappen von Mathias Lemmel und Johannes Lemmel eine auffallende Ähnlichkeit: beide zeigen ein schräg aufsteigendes Lamm. Die übrigen Bamberger Lemlein haben dagegen, soweit bekannt, stets ein stehendes oder schreitendes Lamm im Wappen. Aufgrund dieses Wappenvergleiches muss man annehmen, daß Johannes Lemmel ein Sohn des Mathias ist. Als Sohn von König Sigmunds Schatzmeister und als weitläufig Verwandter von Eberhard Klieber wäre er dann doppelt prädestiniert für das Amt des ungarischen Kammergrafen.

 
Über die politische Zusammenarbeit von Eberhard Klieber und den Bamberger Lemlein im Bamberger Immunitätenstreit um 1435 berichtete ausführlich Herbert E. Lemmel (7). Die enge Freundschaft der beiden Familien zeigt sich auch darin, dass die Söhne zusammen in Wien studieren: dort schreiben sich 1431 am gleichen Tage Martinus Lemlein und Michael Klieber aus Bamberg zusammen an der Universität ein (64). Die wirtschaftliche Zusammenarbeit beider Familien veranlasste Wolfgang von Stromer (57), von einem Bank- und Handelshaus Lemmel & Klieber zu sprechen. In Ungarn zeigt sich das an einigen finanziellen Transaktionen.

1431 leiht Eberhard Klieber dem König Sigmund 1000 Gulden (77) und 1437 noch einmal 2600 Gulden (78) - recht ansehnliche Beträge, aus denen zu schließen Eberhard Klieber nach heutigem Geldwert Millionär gewesen sein muß. Dafür erhält er von Sigmund nicht nur das Kammergrafenamt, sondern auch eine stattliche Anzahl ungarischer Bergwerke zum Pfand (78), die nahezu das ganze oberungarische Bergrevier um Schmölnitz und Göllnitz umfassen. Diese Methode hatte bereits Tradition, nachdem seit 1395 Bamberger und Nürnberger Unternehmer ungarische Kammergrafenämter besetzt hielten und sich dadurch einen beherrschenden Einfluss auf den ungarischen Bergbau und Metallhandel sicherten (79).

[Die Klieberschen Bergwerke sind aufgeführt (78):... item Montanas et Cameras nostras auri et argenti, ac cupri, et aliarum minerarum in Smwlnicz, Gylncz, Rwda, Telky, Ida, Jazow, Stilbach, Czyrkendorff et Munzay existentes.]

Sigmunds Verpfändungen wurden normalerweise weder von ihm noch von seinen Nachfolgern wieder eingelöst. So muss man annehmen, daß Johannes Lemmel von Eberhard Klieber auch die Bergwerke um Schmölnitz und Göllnitz übernahm. Das ist nicht direkt erwiesen, wird aber durch die Tatsache bestätigt, daß sich Johannes Lemmel von Januar 1448 bis Januar 1449 im nahegelegenen Preschau/Eperjes aufhielt (siehe weiter unten), vermutlich wegen seiner dortigen Bergwerke.
 

Zu dieser Zeit ist aus den ungarischen Bergstädten jedoch kein großer Reichtum mehr zu holen. Wir sahen bereits, daß die Zingel, Ebner und Lemmel 1437 von Schemnitz in Oberungern nach Goldkronach in Franken umgezogen sind. Die Verluste, die Claus Lemmel in Schemnitz erlitten haben muß, zeigen sich darin, daß er 1441 ein wertvolles Schenkhaus in Wachenroth bei Bamberg wegen seiner Schulden an Eberhard Klieber abtreten muß (61). Ein wesentlicher Grund für diese Pleite liegt darin, daß Oberungarn seit einigen Jahren von Hussiten geplündert und besetzt gehalten wird. Dieser Zustand wird 1438 sogar legalisiert, indem Königin Elisabeth den böhmischen Hussitenführer Johann Giskra von Brandis zu ihrem Hauptmann ernennt (80).

Die wichtigsten Bergwerke in Ungarn, die dem König uneingeschränkt verbleiben, sind die Silbergruben in Siebenbürgen. So ist es zu verstehen, daß Johannes Lemmel als königlicher Kammergraf ausgerechnet in Hermannstadt auftritt, und zwar in der ersten Jahreshälfte 1438. Für die zweite Jahreshälfte ist dort der Hermannstädter Bürgermeister Niklas Pfeffersack als Kammergraf genannt. Pfingsten 1439 ist wieder Johannes Lemmel als Ritter und Graf von Hermannstadt nachgewiesen (72); ob er zu dieser Zeit auch wieder Kammergraf war, muss offen bleiben.


Hermannstadt, Stadtmauer
Der Titel des Kammergrafen schließt das Amt des Münzmeisters ein. Es ist eine Eigenheit der ungarischen Münzen dieser Zeit, daß sie nicht nur einen Buchstaben für den Ort der Münzkammer, also "h" für Hermannstadt, als Münzzeichen zeigen, sondern auch ein weiteres Zeichen, aus dem der verantwortliche Kammergraf ersichtlich ist. So zeigen die Hermannstädter Goldgulden dieser Zeit ein kleines Lamm, das Wappentier Johannes Lemmels (81), oder aber die verschlungenen Buchstaben "PFR" für Niklas Pfeffersack; ein drittes Münzmeisterzeichen "P" konnte noch nicht gedeutet werden (82).
 
Der Hermannstädter Goldgulden mit dem kleinen Lamm (unter der Hand mit dem Reichsapfel) als Münzzeichen des Münzmeisters Johannes Lemmel.
Inschrift auf der Wappenseite: ALBERTUS Dei Gratia Rex UNGARIA.   
Inschrift auf der Bildseite: Sanctus LADISLAUS REX.
Das Wappen zeigt Ungarn (Streifen) und Böhmen (Löwe). Die Figur zeigt nicht einen regierenden König sondern Ladislaus, König von Ungarn 1077 bis 1095, der heilig gesprochen wurde..


(Dass Johannes Lemmel 1438 das Kammergrafenamt innegehabt hat, scheint nicht direkt belegt zu sein. Die Autoren, die dies angeben, scheinen sich letzten Endes auf Gustav Seiwert zu stützen, der bereits 1864 in seiner Geschichte der Hermannstädter Münzkammer (83) das Lamm als Münzzeichen des Hermannstädter Goldguldens dem "später einflussreichen Comes Johann Lemmel" zuschreibt, diese Zuschreibung jedoch nur als "vage Vermutung" gelten läßt. Diese Vermutung wird durch die hier dargestellten Zusammenhänge bestätigt; insbesondere zeigt die Urkunde von 1439, daß Lemmel bereits unter König Albrecht in Hermannstadt war, während Seiwert erst nur die Lemmel-Urkunden von 1444 bis 1455 unter König Ladislaus Postumus kannte und daher Zweifel an seiner getroffenen Zuordnung haben musste. Warum jedoch Horvath und Huszar diesen Gulden auf die erste Jahreshälfte 1438 datieren (72), ist mir nicht klar geworden; in den Münzbüchern wird dieser Gulden allgemein in die Regierungszeit Albrechts, also zwischen 1437 und 1439, ohne genauere Datierung eingeordnet. Womöglich also haben Horvath und Huszar doch eine weitere Urkunde gekannt, die Johannes Lemmel zu der von ihnen angegebenen Zeit als Kammergraf belegt.)

Im Jahre 2014 wurde der Lemmel-Gulden (1) im Internet angezeigt, "sehr selten!", für 1200,- Euro. 2020 wurde ein anderes Stück (2) (3,52 g schwer) für 1650,- CHF verkauft. 

(1) 
(2)      
(1)[numismatica.hu]                                      (2)[Sincona Auktion 66 2020]
 
Im Jahre 2018 prägte die ungarische Münze eine Goldmünze zu 50.000 Forint in Erinnerung an den Habsburger König Albert, der von 1437 bis 1439 regierte. Darauf abgebildet ist der Lemmel-Gulden von 1438. (13,96 g schwer, 986.Gold, 20 mm Durchmesser, 500 Stück, Künstlerin Kiraly Fanni. Preis 1071,- Euro. - Die 5 Zeichen rings um das königliche Wappen sind die Zeichen von 5 verschiedenen Münzmeistern, darunter rechts unten das Lamm für Lemmel und links unten PR verschlungen für Niklas Pfeffersack.) 
[Internet 2023 penzvero.hu]

Die Hermannstädter Münzkammer hatte eine merkwürdige Rechtsstellung. Sie war keineswegs allein dem König unterstellt, wie es der Sigmundschen Wirtschaftspolitik unter Markus von Nürnberg und Mathias Lemmel entsprochen hätte; vielmehr scheint die Stadt Hermannstadt einen Anteil an der Kammer gehabt zu haben, und gelegentlich erscheint das Gemeindewappen, zwei gekreuzte Schwerter, als Münzzeichen (83). Diese Zwitterstellung zeigt sich wohl auch darin, dass im gleichen Jahr der königliche Beamte Johannes Lemmel und der Bürgermeister Niklas Pfeffersack, beide als Kammergrafen, einander gegenüberstehen. Bis zum Ende des Jahrhunderts kommen dann fast alle Bürgermeister auch als Kammergrafen vor, aber eben nicht ausschließlich. Da sie aber oft gleichzeitig auch Königsrichter waren, ist es nicht deutlich, ob sie das Kammergrafenamt im Auftrag der Gemeinde oder des Königs ausüben. Die Rechte des Königs gehen jedoch deutlich zurück, spätestens ab 1464, als die Bürger das Recht erhalten, den Grafen (Comes) von Hermannstadt, der bisher vom König ernannt wurde, nunmehr selbst zu wählen.

In den Einnahmen König Albrechts ist ein Posten angeführt: "Von dem Kunigreich zu Ungarn von verkauftes Silber aus Sibenbürgen ...". Dieser Posten macht mit 12013 ungarischen Gulden und 4680 Pfund einen beträchtlichen Teil von Albrechts Gesamteinnahmen aus (84). Dieses Geld dürfte durch den Hermannstädter Kammergrafen abgeführt worden sein. Wenig später gerät Friedrich der III. in finanzielle Bedrängnis, nicht zuletzt weil ihm diese Einnahme nicht mehr zur Verfügung steht.

Obgleich die Urkunden keine Auskunft über Bergbau-Geschäfte Johannes Lemmels geben, so ist doch anzunehmen, dass ihm sein Amt einen zentralen Einfluß auf den Siebenbürger Edelmetall-Bergbau und -Handel sicherte, der nicht nur seiner eigenen einschlägig interessierten Familie, sondern auch anderen fränkischen Handelshäusern zugute kam. Jedenfalls ist von Thomas Altemberger (†1491), einem Nachfolger Johannes Lemmels als Kammergraf in Hermannstadt, bekannt, dass er aus dem Bergbau ein beträchtliches Vermögen erzielte, wobei die Verwaltung königlicher Finanzämter und die Pacht der Edelmetall-Einlösungsstelle besonders einträglich waren (85).

Zudem wird der spätere Königsrichter und Salzkammergraf Hans Lulay, der auch Graf der Goldeinlösungskammer in Hermannstadt war (1521), einmal als "Lulay alias Lemmel" bezeichnet (85a). Daraus muss man schließen, dass Lulay in diesen Ämtern Lemmels Nachfolger war. (Ein von Lulay 1520 geprägter Gulden wurde 2020 für 2000,- CHF verkauft.)
[Sincona Auktion 66 2020]

Aus dem Jahre 1439 ist ein Brief mit Johannes Lemmels Siegel erhalten, leider nur in bruchstückhaftem Zustand. Man erkennt undeutlich ein aufsteigendes Lamm, ähnlich dem Siegel des Mathias Lemmel, und einen Teil des Schriftzuges "Lemmel".

 
Siegel von Hanns Lemmel 1439.
Links Fotografie, rechts Zeichnung der erkennbaren Teile.
Bezeichnenderweise befindet sich der Lemmel-Brief von 1439 im Stadtarchiv von Thorn an der unteren Weichsel. Darin erbittet Johannes Lemmel vom Thorner Stadtrat ein Leumundszeugnis für einen Hermannstädter Bürger, der von Thorn her zugezogen war. Die Beziehung nach Thorn ergibt sich durch den Verkehrsweg der Weichsel. Dort verschifften die fränkischen Unternehmer nämlich gern ihr in den Karpaten gewonnenes Kupfer und Silber, das auf dem Seewege über Ostsee und Nordsee leichter die Handelspartner, etwa in den Niederlanden, erreichte als auf dem mühsamen Landweg (9).

Laut Zeitungsberichten wurde um 1976 ein in der Weichselmündung gesunkenes Schiff gehoben, das mit Kupferbarren beladen war und aus der ersten Hälfte des 15.Jahrhunderts stammen soll. Vielleicht also war Johannes Lemmel der Auftraggeber dieses Kupfertransportes. Die Hansestädte hatten freilich auch eigenständige Beziehungen nach Siebenbürgen, und einige Hermannstädter Ratsfamilien scheinen aus Danzig und Thorn zu stammen. Unter den Zeugen der Lemmel-Urkunde von 1439 befindet sich unter anderen Lukas Watzelrode. Sein Schwiegervater war der Thorner Ratsherr Albrecht Russe: ein Nikolaus Russe war in der Mitte des 15. Jahrhunderts Ratsherr in Hermannstadt. 1444 war Georg Hecht Bürgermeister von Hermannstadt: 1411 wurde Arnold Hecht, Bürgermeister von Danzig, in den Wirren nach der Schlacht von Tannenberg vom Deutschen Orden ermordet (86). Die hier wie da auftretenden Namen zeigen, dass es Zu- und Abwanderungen zwischen Siebenbürgen und dem alten Preußen gab.

Zufällig sind Lukas Watzelrode und Hans von der Linde, ein anderer Zeuge dieser Urkunde, Vorfahren der ostpreußischen Lemmel. Lukas Watzelrode ist Großvater von Niklas Koppernigk, genannt Copernicus, der 1473 in Thorn geboren wurde (86). Sein Vater und Großvater, Niclas und Johannes Koppernigk, lebten zur Zeit von Johannes Lemmel als Großkaufleute in Krakau und befassten sich mit ungarischem Kupferhandel. Sie müssten mit Johannes Lemmel Handelsbeziehungen gehabt haben, zumal Lemmels mutmasslicher Bruder Sigmund Lemmel als Altarist in Krakau lebte.

Als östliches Grenzgebiet Ungarns bot Siebenbürgen einen Ausgangspunkt für den Schwarzmeerhandel, besonders seitdem die Türken 1390 die untere Donau erobert hatten und, mit Unterbrechungen, die rumänische Walachei tributpflichtig hielten. Dadurch war der wichtige Schifffahrtsweg der Donau versperrt, und das Schwarze Meer war nur noch auf dem Landwege zu erreichen. Dabei hatte Hermannstadt eine Vorrangstellung inne, weil es in den rumänischen Fürstentümern Stapel- und Handelsrechte unterhielt. Bereits seit dem Ende des 14. Jahrhunderts ist Nürnberger Handel, vornehmlich mit Nürnberger Tuchen, in Siebenbürgen nachgewiesen (87), von wo sich der weitere Handel mit der Walachei und dem Schwarzmeerraum ergab. Dort waren die Gewürze des Orients eine besonders begehrte und profitable Handelsware.

 
Landkarte um 1450 (88a)
Aus diesen wenigen Hinweisen ersieht man, welche wirtschaftliche und politische Bedeutung Johannes Lemmels Position als Graf von Hermannstadt gehabt haben mag. Dazu kommt aber der noch wichtigere Aspekt, dass das rings von Bergen umgebene Siebenbürgen gerade zu dieser Zeit die wichtigste natürliche Festung im Abwehrkampf des Abendlandes gegen die Türken darstellte (88). Johann Hunyadi, der bedeutendste ungarische Heerführer gegen die Türken, hatte in Siebenbürgen seine Hausmacht. Trotz vieler Türkeneinfälle wurde Siebenbürgen nie unterworfen, selbst dann nicht als über Budapest die Türkenfahne wehte.

Während die Türken bei ihren Einfällen seit 1395 stets nur auf Raub und Plünderung aus waren, waren sie gerade 1438 mit der Absicht nach Siebenbürgen eingefallen, es zu unterwerfen. Sie konnten sich zwar nur zwei Monate dort halten, jedoch waren als Folge noch 20 Jahre später einige Orte wüst und entvölkert. Auch Hermannstadt wurde berannt, wurde aber nicht erobert.
 
Wie furchterregend dieses entlegene und von Türken verheerte Grenzland auf den Mitteleuropäer gewirkt haben muss, geht daraus hervor, dass der rumänische Fürst Vlad Dracul, Herrscher der Walachei, zu dieser Zeit den Kern für die Dracula-Schauererzählungen abgab (88a).
 
Vlad Dracul
Dabei hatte Vlad den Beinamen "Dracul" 1431 in Nürnberg von Kaiser Sigmund erhalten, als dieser ihm die Mitgliedschaft im "Drachen-Orden" verlieh, als Verpflichtung zum Kampf gegen die Nichtchristen. Sein Sohn Vlad Tepes, 1431 in Schäßburg geboren und als Sohn des Vlad Dracul "Dracula" genannt, pflegte gefangene türkische Soldaten zu pfählen - was freilich erst die Touristen des 19. Jahrhunderts erschreckte, denn im Mitteleuropa des 15. Jahrhunderts, wo Verbrecher aufs Rad geflochten oder gevierteilt wurden, war man Grausameres gewohnt.

Wenn unmittelbar nach dem Türkeneinfall von 1438 Johannes Lemmel als Graf von Hermannstadt auftritt, so ist es klar, daß seine Aufgabe darin bestand, das Land wieder aufzubauen und aufzurüsten, gestützt auf die Wirtschaftskraft der fränkischen Handelshäuser und auf die Produktivkraft der deutschen Städte Siebenbürgens. Auch die Nürnberger Waffenschmieden werden durch Johannes Lemmel in Siebenbürgen einen guten Absatz bei der Aufrüstung gegen die Türken gefunden haben.

Dies alles wird jedoch sehr bald jäh unterbrochen, als König Albrecht der II. am 27. Oktober 1439 nach einem Türkenfeldzug stirbt und das Land in Wirren um die Nachfolge gestürzt wird.

(71)     Johann Seivert, Ungarisches Magazin 1782, Band 2, S.290-293.

(72)    Anhang, Regest 1,2

(73)    Stromer, Fränkische und Schwäbische Unternehmer (4), Seiten 361-364.

(74)    Lemmel, Herkunft (5), Seite 61.

(75)    Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Imhof-Archiv, Fasc. 26 (Lemmel-Archiv), Nr.6.

(76)    Stromer, Fränkische und Schwäbische Unternehmer (4), Seite 361.

(77)    Lemmel, Miszellen (7), Seite 282.

(78)    Gusztav Wenzel: Magyarorszag Banyaszatanak Kritikai Törtenete, (= kritische Geschichte des ungarischen Bergbaus), Budapest, 1880. Seite 359, Beilage H.1. - Vergl. Stromer, Fränkische und schwäbische Unternehmer (10), Seite 364.

(79)    Stromer, Fränkische und schwäbische Unternehmer (4), Seiten 363/364.

(80)    Günther Freiherr von Probszt: Die niederungarischen Bergstädte, ihre Entwicklung und wirtschaftliche Bedeutung bis zum Übergang an das Haus Habsburg 1546. Buchreihe der Südostdeutschen Historischen Kommission, Band 15. München 1966, Seiten 57f.

(81)    Golddukaten König Albrechts des II. von Ungarn, Münzzeichen H/Lamm. Originale im Wiener Münzkabinett, Kunsthistorisches Museum, Burgring 5, und im Budapester Münzkabinett, Ungarisches Nationalmuseum, Museum Körut. Die Fotografie wurde durch Herrn Hofrat Bernhard Koch, Direktor des Wiener Münzkabinetts, dankenswerterweise zur Verfügung gestellt. Hinweise auf diese Münze verdanke ich Prof W. v. Stromer und Ing. Artur Pohl, Budapest. Eine Abbildung dieses Goldguldens findet sich bei: Jacobus a Mellen, Lubecensis, Series Regum Hungariae e Nummis Aureis. Das ist: Eine Reihe ungarischer Könige aus goldenen Münzen... ins Teutsche gebracht von D. Gottfried Heinrich Burghart, Breßlau-Leipzig (Bei Daniel Pietsch) 1750, Tab. III no. 24 (König Albertus), mit Text Seite 310 (wo das Lamm allerdings nicht erwähnt ist). Siehe auch: Numizmatikai közlöny Band 40, Budapest 1941, Seite 36. Dieser Goldgulden ist noch nicht erwähnt bei: Jacobus a Mellen, Series..., Lubeciae 1699. - Eine Beschreibung befindet sich bei Jacobus Rupp: Numi Hungariae, Buda 1841, Seite 52: Münzzeichen ,h et agnellus'. - Eine Abbildung befindet sich bei L Rethy und G. Probszt Corpus Nummorum Hungariae, Graz 1958, Seite xxix Nr.131; die Münzzeichen dazu siehe Artur Pohl: A Kesoközepkori Magyar Penzek Verdejegyei Összeallitotta (= die Münzzeichen der ungarischen Münzen des Spätmittelalters), Budapest 1965. - Historischer Hintergrund siehe Artur Pohl, Die Grenzlandprägung - Münzprägung in Österreich und Ungarn im 15. Jh., Graz 1972.

(82)    Artur Pohl: Ungarische Goldgulden. Graz 1974.


(83)    Gustav Seiwert. Beiträge zu einer Geschichte der Hermannstädter Münzkammer; 1. Abteilung bis zum Jahre 1542. In: Archiv des Vereines für Siebenbürgische Landeskunde. Neue Folge, 6. Band, 2. Heft. Kronstadt 1864. Seiten 153-200, besonders Seiten 163f und 175.

(84)    Karl Schalk: Aus der Zeit des Österreichischen Faustrechts 1440-1463. In: Abhandlungen zur Geschichte und Queilenkunde der Stadt Wien, Band 3, Wien 1919, Seite 19.

(85)    Gustav Gündisch: Thomas Altemberger und das Alte Rathaus. Zeitung ,Neuer Weg', Hermannstadt, 18.3.1972, Seite 4.

(85a)     Staatsarchiv Hermannstadt, "Collectio Rosenfeld" mit Abschriften von Urkunden aus Budapester Archiven von Karl Ludwig von Rosenfeld, der als genauer Arbeiter gilt. Mtlg. Gustav Gündisch 1974.

(86)    Ahnenliste H.D. Lemmel. Zentralstelle für Genealogie in der DDR, Leipzig, AL 8957. Nach Forschungen von Helmut Strehlau, Westpreußische Familienforschung, Bad Salzuflen.

(87)    Schürstab'sche Handelsbücher 1363-1383. Laut Gerhard Pfeiffer (Herausgeber): Nürnberg - Geschichte einer europäischen Stadt. Nürnberg 1971, Seite 99.

(88)    Gustav Gündisch: Zur Überlieferung der Türkeneinfälle in Siebenbürgen. Kolozsvari Bolyai Tudomanyegyetem Erdelyi Tudomanyos Intezet, Koloszvar, 1947. Und: Gustav Gündisch: Jahre geschichtlicher Bewährung; die Siebenbürger Sachsen in der Türkenabwehr. In: Die Woche, Nr.273, Seite 5, Hermannstadt 16.3.1973.

(88a)    Ralf Peter Märtin: Dracula, das Leben des Fürsten Vlad Tepes. Wagenbachs Taschenbuch, Berlin 1980, Neuausgabe 2001. – Mark Benecke: Tanz der Vampirforscher. Süddeutsche Zeitung Nr.117, 22.5.2001, mit Porträt-Abbildung.
 


Tafel 1: Die Machthaber in Böhmen und Ungarn im Jahrhundert von 1350 bis 1450

 
König Ladislaus Postumus
(Ausstellungskatalog "Kaiser Ferdinand I,", Kunsthistorisches Museum Wien, 2003)

 9. Johannes Lemmel, Graf von Hermannstadt unter König Ladislaus Postumus


Erst nach König Albrechts Tod wird am 22. Februar 1440 sein Sohn Ladislaus geboren, der den Beinamen Postumus erhält. Seine Mutter Elisabeth, die Tochter König Sigmunds, läßt ihn am 15. Mai 1440 mit der eigens entwendeten Stefanskrone krönen. Diese Krönung wird aber von der ungarischen Oligarchie nicht anerkannt, die statt dessen den polnischen Jagellonen-König als Wladislaw den I. zum König von Ungarn wählt. Er wird am 17. Juli 1440 in Ofen mit einer Ersatzkrone gekrönt. Er kann sich aber erst in Ungarn durchsetzen, nachdem im Dezember 1440 Johann Hunyadi einen Teil seiner Gegner besiegt. Hunyadi hatte seine militärische Laufbahn unter Kaiser Sigmund begonnen; er wechselte dann aber als ein ungarischer Nationalist in das antideutsche Lager über und ebnete dem Polen-König Wladislaw den Weg. Dieser ernannte ihn dafür zum Wojewoden von Siebenbürgen, ein Titel, den Johann Hunyadi 1440-1444, also die ganze Regierungszeit Wladislaws des 1. hindurch, führt (89).

Obgleich Hermannstadt zunächst noch zur Habsburgerpartei hält, ist Johannes Lemmel in dieser Zeit hier nicht genannt. 1440 ist der Hermannstädter Bürgermeister Trautemberger Kammergraf; er prägt mit dem Münzzeichen "h-T" Münzen für Königin Elisabeth und zieht sich so den Groll Hunyadis zu, weil er ihm dadurch die Unterstützung im Kampf gegen die Türken verweigert. Hunyadi finanziert seine Türkenfeldzüge hauptsächlich mit Siebenbürger Gold. Erst Mitte 1441 geht Hermannstadt zu König Wladislaw über; Bürgermeister und Kammergraf wird Jakob Sachs, der nunmehr für Johann Hunyadi Goldgulden prägt (90).

Zu Albrechts Nachfolger als deutscher König wurde 1440 Albrechts Vetter Friedrich der III. gewählt, der als Chef des Hauses Habsburg Vormund von Ladislaus Postumus ist und diesen in seine Residenz nach Wiener Neustadt verbringen ließ. Albrechts Witwe Elisabeth forderte von Friedrich die Herausgabe ihres Sohnes Ladislaus und der Reichskrone. Zu diesem Zweck sandte sie im Oktober 1441 zweimal den Bischof Paulus von Artschisch "und den Preßburger Herrn Joannes Lemel" nach Neustadt (90a), freilich vergeblich. Aus diesem Zitat zu schließen lebte Johannes Lemmel also 1441 in Preßburg. Schon 1439 und 1440 kommt der Name Lemmel in den Preßburger Kammerrechnungen vor (90b).  

Im November 1443 stirbt in Bamberg Eberhard Klieber, der vormalige ungarische Kammergraf.  "...als Eberhard Clieber seliger seine geschaffte getane hett", wird eine Geldangelegenheit für Fritz Zollner und Thomas Zingel von einem Hans Lemlein geregelt (91). Hier kann es sich durchaus um den Hermannstädter Johannes Lemmel handeln, der zwischen 1441 und 1444 nicht in Ungarn beurkundet ist. Aber es kann sich wohl eher um seinen gleichnamigen Vetter, den späteren Nürnberger Ratsherrn und Bürgermeister handeln. 
 

Im April 1444 schreibt sich ein Andreas Lemmel an der Universität Wien ein (92), und zwar mit der Angabe "de Cibinio" (= aus Hermannstadt). Sein Vater Johannes muss also zu dieser Zeit weiterhin seinen Wohnsitz in Hermannstadt gehabt haben.

1440 reißt in Ungarn auch die seit 1395 bestehende Reihe der Bamberg-Nürnberger Kammergrafen ab (79): mit der habsburgischen Königsmacht endet in Ungarn auch der politische Einfluß der fränkischen Familien. Jedoch hat auch der nunmehrige Hermannstädter Kammergraf, der Bürgermeister Trautemberger, offenbar Beziehungen zur Oberpfalz: In Störnstein bei Neustadt an der Waldnaab, einer zu dieser Zeit böhmischen, also Sigmund'schen Enklave in Bayern, siegelt 1435 ein Jörg Trautenberger für Margarethe Lemmel, einer geborenen Redwitz, einen Urfehdebrief wegen ihres in Hussitenfehden umgekommenen Mannes Albrecht Lemmel (93). Derweil war in Siebenbürgen Anton Trautenberger 1432 als Königsrichter Vorgänger von Johannes Lemmel (102) und wird nun 1440 als Kammergraf dessen Nachfolger.

Die doppelten Beziehungen zwischen den Familien Lemmel und Trautenberger in der Oberpfalz und in Hermannstadt zeigen, daß auch noch mit Trautenberger das Kammergrafenamt unter oberdeutschem Einfluß bleibt.

In den folgenden Jahren gibt es in Ungarn wechselnde Kämpfe zwischen der Jagellonenpartei im Osten und der Habsburgerpartei im Westen und Norden. 1442 erringt das polnisch-ungarische Heer unter Wladislaw und Hunyadi bei Hermannstadt und am Eisernen-Tor-Paß entscheidende Siege gegen die Türken, die danach bis nach Sofia zurückgedrängt werden.

Bei den großen Kosten des Türkenkrieges macht es Wladislaw schwer zu schaffen, dass ihm die Einnahmen aus dem oberungarischen Bergbau fehlen. Der ganze Norden Ungarns mit seinen Erzgruben wird nach wie vor von Johann Giskra von Brandis besetzt gehalten, und zwar zunächst im Namen der Königinwitwe Elisabeth, dann, nach ihrem Tod 1442, im Namen des Habsburger Königskindes Ladislaus Postumus. Dabei plündern Giskras Unterführer das Land aus und brennen 1442 sogar die Silberbergstadt Schemnitz nieder.

Der Jagellone Wladislaw vermag dagegen nichts zu unternehmen. Um im Türkenkrieg den Rücken frei zu haben, muss er sogar 1443 mit Giskra Frieden schließen; dabei überlässt er ihm das ganze besetzte Gebiet mit allen königlichen Einkünften aus Bergwerken, Münzregal und Zöllen (80).

Bei diesem Vertrag setzt sich die Habsburgerpartei auch in Siebenbürgen wieder durch, denn 1444 tritt Johannes Lemmel wieder als Graf in Hermannstadt auf (94).

Nach dem Vertrag mit Giskra kann Wladislaw nun im Februar 1444 einen triumfalen Einzug in Ofen halten, erleidet aber am 10. November 1444 eine Niederlage gegen die Türken bei Warna, wo er den Tod findet. Sein Nachfolger als König von Ungarn wird nominell der fünfjährige Habsburger Ladislaus Postumus; sein Vormund ist sein Onkel, der deutsche Habsburgerkönig Friedrich der III., der aber selbst die ungarische Krone anstrebt und sein Mündel nicht freigibt.


Johann Hunyadi

Wegen des geschwächten Königstums setzt nun in Österreich und Ungarn eine Zeit des Faustrechts (84) ein, in der sich lokale Herren mit Privatheeren bekriegen. Dazu gehören auch Johann Giskra von Brandis und Johann Hunyadi. Giskra herrscht weiter in Oberungarn; im übrigen Ungarn setzen die Stände Johann Hunyadi, der inzwischen zum reichsten Grundbesitzer Ungarns wurde, 1445 als Reichshauptmann und 1446 als Gubernator ein. Etwa den gleichen Rang auf Seiten der Habsburgerpartei hat Johann Giskra von Brandis inne: nachdem er von Königin Elisabeth zum General-Capitän und obersten Hauptmann des Königs Ladislaus Postumus ernannt wurde, wird er im April 1444 in diesen Funktionen von Friedrich dem III. bestätigt (95) und 1445 von den Ständen in Oberungarn zu einem der Oberhauptleute gewählt (80). 1446 wird er als König Ladislaus' Hauptmann von Ungarn bezeichnet, Johannes Lemmel aber als sein Diener und Rat (96).

Zu dieser Zeit befindet sich Johannes Lemmel gerade auf einer Reise über Ofen nach Wien. Zeitweilig kann er nicht auf seinen Posten nach Hermannstadt zurückkehren, denn von November 1446 bis Juni 1447 führt Johann Hunyadi einen Krieg gegen den deutschen Habsburgerkönig Friedrich den III. (97). In dieser Zeit wird Johann Hunyadi - wie schon 1440-1444 unter Wladislaw - wieder als Wojewode von Siebenbürgen bezeichnet (98); 1446 ist er auch in einer Urkunde über Hermannstadt genannt (99), wo er vielleicht Funktionen des abwesenden Johannes Lemmel wahrnimmt.

Vermutlich hatte Johannes Lemmel in Oberungarn seinen privaten Besitz und wohl auch Bergwerke. Von Januar 1448 bis Januar 1449 ist er in Preschau (ungarisch: Eperjes) beurkundet (99a). In drei Urkunden von 1448 tritt er zusammen mit Johann Giskra auf, wobei zwei Besonderheiten auffallen: Lemmel wird nun vor Giskra an erster Stelle genannt, und Lemmels Titel lautet jetzt: "immerwährender Graf von Hermannstadt" (comes perpetuus Cibiniensis). Das Wort "perpetuus" ist bezeichnend: es demonstriert den Anspruch auf das Hermannstädter Grafenamt, obgleich derzeit dieser Anspruch gegen den Gubernator Johann Hunyadi nicht durchgesetzt werden kann.

Hunyadi ist gerade außer Landes. Er zieht mit einem Heer südwärts gegen die Türken, wird aber am 19. Oktober 1448 in der (zweiten) Schlacht auf dem Amselfeld (im heutigen Kosovo) geschlagen. (In der ersten Schlacht auf dem Amselfeld waren die Serben am 28.6.1389 von den Türken geschlagen und anschließend unterworfen worden.)

Nun war Hunyadis Stellung geschwächt und er wird gezwungen, 1449 mit Giskra einen Waffenstillstand zu schließen, wobei Giskra in einem Vertrag vom 28. März 1450 Oberungarn mit den Bergstädten abermals zugesprochen erhält (80). Hunyadi verliert seinen Titel als Wojewode von Siebenbürgen. Auch Johannes Lemmel kann sein Grafenamt in Hermannstadt nun wieder ausüben. Dabei wird er 1449 erstmals auch als Königsrichter bezeichnet - ein Titel, der nach den bekannten Urkunden seit 1432 nicht mehr vorkam, im übrigen aber immer mit dem Hermannstädter Grafenamt verknüpft ist (100).

In den Jahren von 1449 bis 1455 sind 14 Hermannstädter Urkunden über Johannes Lemmel bekannt (101). In der zeitlichen Abfolge zeigen diese Urkunden zwei auffallende Lücken: offenbar war er das ganze Jahr 1451 hindurch bis in die erste Hälfte von 1452 nicht in Hermannstadt, und auch nicht zwischen Ende 1453 und Anfang 1455, sofern man diese Lücken nicht als zufällige Lücken in den Urkundenbeständen deuten will. Es war indessen durchaus üblich, dass der Graf von Hermannstadt nicht ständig anwesend war. 1454 wütete eine besonders verlustreiche Pestwelle in Hermannstadt (102), und Johannes Lemmel dürfte, wie unter wohlhabenden Leuten üblich, vor der Pest ausgewichen sein - wohin, muss offen bleiben.

Die Hermannstädter Urkunden der Jahre 1449 bis 1455 geben Auskunft über Johannes Lemmels Wirken als Königsrichter, Graf und Leiter der Nation der Siebenbürger Sachsen (103). Er entscheidet, in welcher Rangfolge die Kürschner und die Schneider in der Fronleichnams-Prozession zu gehen haben; er regelt einen Nachlass; er schlichtet einen Grenzstreit zwischen zwei Gemeinden und einen Streit um eine Mühle; er kümmert sich um Angelegenheiten der Kürschner und Lederhändler; er bestätigt bezahlte Schulden; er setzt sich für die verbrieften Freiheiten der sächsischen Kaufleute ein und schützt die Schusterzunft; er hebt Steuern ein.

In einer Urkunde vom Juli 1450 (104) kommt wieder die Gegnerschaft gegen Johann Hunyadi zum Ausdruck, als Hunyadi eine Aktion des Hermannstädter Rates und des Richters Lemmel missbilligt. Im Oktober 1450 wird Hunyadi von Friedrich dem III. als ungarischer Reichsverweser für den minderjährigen Ladislaus anerkannt.

Das Prägen von Münzen gehört in dieser Zeit nicht mehr zu den Pflichten Johannes Lemmels. Johann Hunyadi hatte die Münzkammer nach Klausenburg verlegt, und seine dortigen Kammergrafen, die Italiener Christophorus und Antonius de Florentia, hatten das Einlöserecht für Edelmetalle. Gold wurde nur in Nagybanya geprägt. Hermannstadt hatte also zu dieser Zeit keine Münzkammer und keinen Kammergrafen (105).

1452 übernimmt der zwölfjährige Ladislaus Postumus offiziell die Regierung von Ungarn, Österreich, Böhmen und Mähren, und führt sogleich wesentliche Änderungen durch. Er setzt seinen bisherigen Gefolgsmann Johann Giskra ab; dessen Gegner Johann Hunyadi, der nun nicht mehr als Reichsverweser amtiert, ernennt er zum Erbgrafen von Bistritz in Siebenbürgen. Hunyadi muss die bisher freie Sachsenstadt Bistritz jedoch erst erobern, wodurch er sich die Feindschaft der Siebenbürger Sachsen zuzieht. Seine Macht scheint sich nun auch auf Hermannstadt zu erstrecken, wo die Münzkammer wieder eröffnet wird, und Goldgulden mit dem Namen des Königs Ladislaus offenbar von Hunyadi geprägt werden (106). Dennoch vergleicht sich König Ladislaus aber auch mit Hermannstadt, wo er Johannes Lemmel, obgleich er ein Parteigänger des nunmehr abgesetzten Johann Giskra gewesen war, als seinen Grafen bestätigt und ihn zudem in sein engeres Gefolge aufnimmt: Anfang 1453 bedankt sich Ladislaus bei Johannes Lemmel für Huldigungsgeschenke zu seinem Regierungsantritt (107); in den folgenden Urkunden wird Johannes Lemmel von König Ladislaus als Ritter seines Hofes und als sein besonderer Vertrauter bezeichnet (108).


[Staatsarchiv Hermannstadt, Urkunde vom 10.12.1455 mit dem Siegelabdruck von Johannes Lemmel]
 
Die gehobene Stellung am Königshofe kommt auch in einer Wappenänderung zum Ausdruck. Während 1439 (109) Johannes Lemmel im Wappen ein steigendes Lamm führte, ist 1455 (110) im Wappen ein Querband hinzugekommen, und der Schild ist nunmehr mit einer - in Einzelheiten nicht deutlich erkennbaren - Krone versehen.

Als Königsrichter hat Johannes Lemmel offenbar auch Gesetze geschaffen, die in das Hermannstädter Recht eingingen. Und zwar ließ 1481 Thomas Altemberger, Bürgermeister, Königsrichter und Kammergraf von Hermannstadt, den nach ihm benannten Codex Altemberger schreiben, eine Hermannstädter Gesetzessammlung, die auch als "Nürnberger Recht" bezeichnet wurde (111). Aus dieser Bezeichnung schloss man früher, daß Hermannstadt im 15. Jahrhundert sein althergebrachtes Recht aufgegeben und Nürnberger Recht angenommen habe. Inzwischen weiß man, daß die Bezeichnung "Nürnberger Recht" lediglich von einer Zwischenüberschrift herrührt, die sich nur auf einen kleinen Teil des Werkes, nämlich die, Artikel 534-562 beziehen. Erstaunlicherweise enthalten diese Artikel aber keine sicheren Parallelen zum Recht dieser Zeit in Nürnberg, so dass die Bezeichnung "Nürnberger Recht" bisher unklar blieb (112).

Eine Jahreszahl auf der Innenseite des Rückdeckels des Codex Altemberger lässt darauf schließen, daß der 1481 entstandene Codex eine Abschrift eines Original-Manuskriptes ist, das bereits 1453 abgeschlossen wurde (112). Dieses Datum aber fällt in die Amtszeit Johannes Lemmels. Womöglich also erhielten die Artikel 534-562 deswegen die Bezeichnung "Nürnberger Recht", weil sie von dem "Nürnberger" Johannes Lemmel eingeführt wurden. Womöglich aber stammten die Artikel, die Johannes Lemmel einführte, bereits aus König Sigmunds Verfassungsreform von 1405, die von seinem bevorzugten Vertrauten Marcus von Nürnberg durchgeführt worden war (112a). Als Kammergraf war Johannes Lemmel einer der Nachfolger des Marcus von Nürnberg.

In dieser Zeit sind die sonst widerstreitenden Parteien in Ungarn vereint durch den Kampf gegen die Türken, die 1451 Serbien und Bosnien eroberten, 1453 Konstantinopel eroberten, und nun, 1456, vor "Weißenburg" (= Belgrad) standen (112b). Im Juli 1456 gelang es Johann Hunyadi, die Osmanen vor Weißenburg vernichtend zu schlagen, jedoch starb er selbst im August an der Pest. Durch seinen Tod brechen in Siebenbürgen die internen Streitigkeiten wieder aus. In dem einsetzenden Bürgerkrieg erstürmt ein ungarisches Heer unter Michael Szilagyi Bistritz und belagert auch Hermannstadt (113). Womöglich ist Johannes Lemmel im Kampf gegen die Türken gestorben, denn 1456 wird er als Graf und Königsrichter von Hermannstadt durch Petrus de Ruffamonte abgelöst, der aus dem Siebenbürger Gräfenadel stammt (100). Kammergraf wird Bürgermeister Oswald Wenzel (113). Damit sind die königlichen Ämter nunmehr mit Einheimischen besetzt.

König Ladislaus versucht, sich der mächtigen Familie Hunyadis zu entledigen, und lässt einen seiner Söhne enthaupten. Ladislaus muss aber selbst fliehen und stirbt 1457 in Prag. König von Ungarn wird ein anderer Sohn Hunyadis: Mathias Corvinus. Damit entschwindet Ungarn für einige Zeit aus dem deutschen Einflussbereich.
 

Zur gleichen Zeit, als Johannes Lemmel Graf von Hermannstadt ist, ist sein Vetter Hans Lemlein Ratsherr in Nürnberg. Man muss annehmen, daß die beiden Vettern in einflußreichen politischen Funktionen in Nürnberg und Hermannstadt zwei Pole darstellten, die den Südosthandel nicht nur des Lemmelschen Familienunternehmens sondern auch der Gesellschaften der verschwägerten Familien bestimmten. Allerdings war der Handel durch die Unruhen der Türkenkriege zu dieser Zeit sehr erschwert. Während zu Anfang des 15. Jahrhunderts der Einfluss fränkischer Unternehmer in Ungarn dominierend war, ist für die Zeit zwischen 1444 und 1455 Johannes Lemmel meines Wissens der einzige Vertreter des fränkischen Unternehmertums, der sich in Ungarn in so hoher politischer Position halten konnte.

(89)    J. Siebmachers großes und allgemeines Wappenbuch, 14.Band, 12. Abteilung: Der Adel von Siebenbürgen, Seite 21.

(90)    Artur Pohl: Die Grenzlandprägung - Münzprägung in Österreich und Ungarn im 15. Jahrhundert. Graz 1972, Seiten 52 f.

(90a)   J.A.Fessler: Die Geschichte der Ungern und ihrer Landsassen, 4.Teil, 2.Band, Leipzig 1816,  S.548. - Internet 2017.

(90b)   Theodor Ortvan: Geschichte der Stadt Preßburg, Bd.II,3 S.305 Kapitel XI (1895-1903)

(91)    Staatliche Bibliothek Bamberg, M.v.0. Hs 1 (StGB 1439/45) f.309. Laut Lemmel, Herkunft (5), Seite 97.

(92)    Anhang, Regest 4

(93)    Stromer, Fränkische und schwäbische Unternehmer (4), Seite 364.

(94)    Anhang, Regesten 3-4.


[95]    Joseph Chmel: Regesta chronologico-diplomatica Friderici IV. Romanorum Regis. Wien 1838, Seite 165, Regest Nr.1627, und Seite 200, Regest Nr.2006.

[96] Quellen zur Geschichte der Stadt Wien, Abt.2 Bd.2 Nr.3191 = Archiv der Stadt Wien, Hauptarchiv-Urkunden Nr.3191.

[97] Schalk, Faustrecht [84], S. 58f. Und: Chmel, Regesta [95], S.223 Regest Nr.2198.

[98] Für 1446: Wenzel [78], S.400. - Für 1448: Siebmacher [89], S.21.

[99] Wenzel [78], S.432.

[99a] Bela Ivanyi (Hrsg.): Eperjes Szabad Királyi Város Levéltára/Archivum Liberae Regiaeque Civitatis Eperjes) 1245-1526. Acta Litteratum ac Scientiarum Reg. Universitatis Hung. Francisco-Josephinae, Sectio: Juridica-Politica, Bd.2, Szeged 1931. -Regesten aus Eperjes Nr.323 vom 25.1.1448, 325 vom 11.4.1448, 328 vom 5.9.1448, 331 vom 15.1.1449.

(100)    Auskunft Gustav Gündisch.

(101)     Gustav Gündisch: Urkundenbuch zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen, Bd.5, Bukarest 1975, S.278-512.

(102)    Johann Seivert: Die Grafen der Sächsischen Nation und Hermannstädter Königsrichter im Großfürstentum Siebenbürgen. In: Ungarisches Magazin, 1782, Bd.2 S.261-302. - Vergl. K.G. v.Windisch: Johann Seiverts Nachrichten von Siebenbürgischen Gelehrten und ihren Schriften, Preßburg 1785, S.223.

(103)     Siebmacher (89), Seite 21.

(104)     Anhang, Regest 8.

(105)     Pohl, Münzzeichen (82) und: Pohl, Grenzlandprägung (90), Seiten 55f.

(106)     Pohl, Grenzlandprägung (90), Seiten 77f.

(107)     Anhang, Regest 12.

(108)     Anhang, Regesten 14, 17, 18, 19.

(109)     Anhang, Regest 2. Dem Stadtarchiv Thorn danke ich sehr für die Anfertigung einer Fotografie des Siegels.

(110)     Anhang, Regest 19.

(111)     Georg Ernst Waldau: Vermischte Beyträge zur Geschichte der Stadt Nürnberg, Nürnberg 1786/87, Bd..1, S. 479.

(112)     Ute Monika Schwob: Kulturelle Beziehungen zwischen Nürnberg und den Deutschen im Südosten im 14 bis 16. Jahrhundert. Buchreihe der Südostdeutschen Historischen Kommission, Band 22. Verlag Oldenbourg, München 1969, Seiten 200ff. Siehe auch: Emil Sigerus: Vom alten Hermannstadt, Folge 2, Seite 124.

(112a)   Stromer,  Nürnberger Unternehmer im Karpatenraum (8),  S.653. - W.v.Stromer: Marcus von Nürnberg, Neue Deutsche Biographie, online-Fassung. Internet 2014

(112b)   Eine Episode am Rande: Nach dem Fall von Konstantinopel erkannte man bei der Schlacht um Weißenburg den Ernst der Lage. Papst Calixtus der III.erließ, verzweifelt, eine Bulle. Darin ordnete er an, dass in allen Kirchen mittags die Glocken läuten mögen, um Gottes Segen herabzuflehen. Hunyadi's Sieg sah er als Zeichen des Himmels an  und ließ die Glocken fortan zum Dank läuten. Seither läuten bei uns mittags die Kirchenglocken.  [Aus einem Zeiuzngsbericht]

(113)     Pohl, Grenzlandprägung (90), Seiten 81f.



Conrad Stromer
   ∞Esler
     
   ┌───┐     Friedrich           Chunrad Lembelin        
Heinr.  Jutta  Holzschuher         *?1250, 1305 zus. mit
Stromer Stromer  Schöffe Nürnberg    H.Stromer Bürge in Nürnberg
          └──┘         ──┐
          Irmel           Hermann                 │
          Holzschuher   ∞  Lemmel            Cunrad Lemblin
          erw.1343-63      *?1280            *?1290,v.1348
Peter      Nürnberg         v.1335           Schöffe Bamberg        Conrad           Konrad    Günter
Stromer         └──┘                   │                Münzmeister      Zingel    Tockler
Ratgeber        Fritz Lemlein                       │                *?1310          1360 Prag  1363-67
Karl IV         *?1305,n.1383                  Schultheiß      Hofgericht  Notar
               1357 Gr.Rat Nbg.  Werner Lemmel                     Bamberg                     Prag
     1375 Nachbar von P.Stromer  *?1320             Conrad Lemlein     │                     
     1379 Wolfstein von Karl IV  1364 Prag          *?1325,+v.1398 Alheid                        
  │                                                Schöffe Bamberg Münzmeister  
Hermann         Werner Lemlein                            └──┘         
Stromer         *?1350,1430      Mathias Lemmel                 │                                
              1393 kauft Besitz   *?1350                  ──┐                 
              von H.Stromer     1396-1401 Prag       Hans Lemlein        Heinz Lemlein Eberhard   Johann
              1394 Gr.Rat Nbg.  (Kg.Wenzel),         *?1360,
1428        *?1355,1436  Klieber  Münzmeister
                                dann Breslau,   1420 Schöffe Kuttenberg  Schöffe Bambg 1431 Bgm   1418 Hof-
                                1412-1426 Ofen  1421 Schöffe Bamberg    
∞Kusine von   Bamberg,   schreiber
                                Schatzmeister   ∞1)Tockler ∞2)Schwester  Eberh.Klieber 1437 ungar.  Prag
                                Kg.Sigmunds         │      v.Eberh.Klieber     │       Kammergraf
      ┌─         ──┐         │           │       Zingel
  Ulrich Lemel                 Johannes Lemmel Michel  Mertein     │          
  1434 Ofen                       *?1390       Lemel   Lemel   Hans Lemlein  Claus Lemlein
   Ratsherr  1438-55(Kammer-)Graf Hermannstadt 1413    1431    Bamberg,      Bamberg,
             1448/49 Preschau/Oberungarn       
Teschen  Bambg  1440 Nürnberg 1434 Schemnitz
             1449-55 Königsrichter Hermannst.  1427    1437    Ratsherr,     1456 Bürger-
                   
┌─┐          Chemn.  Chemn. 1457 Bürger-   meister
             Johannes Lemell   Andreas Lemmel  1431            meister,+1473  Kremnitz
        1467 Ratmann Neusohl   1444 Univ.Wien   Nürnberg          

                                                               Hans Lemlein
                                                               1475 Kremnitz    
┌─┴─┘├─┼─┤└─┬─┐∞│†═ëç▲▼ 28.2.2012

Tafel 2: Stammtafel Lemlein/Lemmel in Böhmen und Ungarn
und ihre Verschwägerung mit den Familien Stromer, Holzschuher, Tockler, Klieber, Münzmeister

 
Landkarte von Böhmen und Ungarn mit den in der Lemmel-Geschichte wichtigen Orten

                 1              2
1 König Mathias Corvinus und sein Monument in Klausenburg (88a)
2 Kaiser Friedrich der III.
(Ausstellungskatalog Kaiser Ferdinand I, Kunsthistorisches Museum Wien, 2003)
10.    In Ungarn unter König Matthias Corvinus

Unter König Matthias Corvinus, der von 1458 bis 1490 regierte, findet sich kein Lemmel mehr in Siebenbürgen (114). Von Johannes Lemmels Sohn "Andreas Lemmel de Cibinio", der sich im April 1444 an der Wiener Universität einschrieb (92), ist bisher nichts bekannt geworden.

In Oberungarn aber, der heutigen Slowakei, tauchen zwei weitere Lemmel auf, die wohl Söhne oder Neffen des Kammergrafen Johannes Lemmel sind. 1456 stellt König Ladislaus in Buda eine Urkunde aus, in der er der Bergstadt Kremnitz die von König Sigmund erteilten Privilegien bestätigt. Darin ist unter den Vertretern von Kremnitz an erster Stelle der "Iudex" (= Bürgermeister) Nicolaus Lemmel genannt (114a). Und 1467 ist einer der Ratsherren von Neusohl (=Banska Bystrica) Johannes/Hans Lemell/Lemmel (114b). Ob sie Nachkommen hatten, die hier verblieben oder abwanderten, konnte nicht ermittelt werden.
Kremnitz 2013, Hauptplatz, dahinter die Stadtburg.
Hier gibt es noch etliche Häuser aus dem 15.Jahrhundert. Welches hat wohl dem Iudex Lemmel gehört? [Foto H.D.Lemmel]

Johannes Lemmels Nachfolger als Repräsentant des oberdeutschen Großkapitals in Siebenbürgen wird Ludwig Stromeir. Er war zuvor Bürgermeister und Montanunternehmer in Amberg in der Oberpfalz; 1470-1490 ist er Consul, Vorsteher eines Stadtzwölftels und Hausbesitzer am Großen Ring in Hermannstadt; vermutlich ist er identisch mit Ludwig Nürnberger, der seit 1466 in Hermannstadt nachzuweisen ist. So fehlt zwischen Lemmel und Stromeir als fränkische Interessenvertreter in Siebenbürgen nur ein Jahrzehnt. Ludwig Stromeir ist ein Enkel des Kuttenberger Münzmeisters Hermann Groß, der aus Nürnberg stammt. Ludwig Stromeirs Neffe Ortolf Stromer heiratete die Schwester Katharina des Kuttenberger Münzmeisters Hans Harsdorfer (115). Wenn auch die Nürnberger nun in Ungarn keinen Kammergrafen oder Münzmeister mehr stellen, so behalten die Familien, die solche Ämter zuvor bekleidet hatten, doch weiterhin wirtschaftlichen Einfluß.

Lemmelsche Wirtschaftsunternehmen leben in einigen Zweigen im Bergbau der Oberpfalz und des sächsischen Erzgebirges fort. In Nürnberg führen Kaspar und Hans, die Söhne des Nürnberger Ratsherrn Hans Lemlein, ein Unternehmen im Verein mit ihrem Schwager Hans Imhoff, der 1460 Ursula Lemlein heiratete (116). Ihre Wirtschaftsinteressen liegen weiterhin im ungarischen Bergbaugebiet: dort ist Hans Lemlein, der eine der Brüder, 1475 als "Bürger auf der Krembnitz", also Bürger der Bergstadt Kremnitz genannt, als er seinen Bruder Kaspar Lemlein in Nürnberg bevollmächtigt, für ihn Lehen zu empfangen (117). Wenn es auch keinen direkten Beweis für die Zusammenarbeit des Nürnberger Ratsherrn Hans Lemlein mit seinem ungarischen Vetter Johannes Lemmel gibt, so gibt es hierfür doch ein wichtiges Indiz: Kaum verschwinden die oberungarischen Lemmel von der Bildfläche, so rückt hier der Sohn des Nürnberger Ratsherrn in die entstandene Lücke nach; über seinen weiteren Verbleib ist leider nichts Gesichertes bekannt.

In den Jahren 1473-1477 muss König Matthias Corvinus Kriege führen: gegen eingefallene Polen, gegen Böhmen, gegen die Türken und gegen den Habsburger Friedrich, dem er Hainburg und Wien besetzt. Womöglich ist es eine Folge dieser Kriegs-Unruhen, dass die Lemmel aus Oberungarn verschwinden. In Nürnberg aber sterben die Lemlein kinderlos; ihr beträchtliches Vermögen erbt die Familie Imhoff (118).

Die Kinder des Hans Imhoff und der Ursula Lemlein verheiraten sich mit den Nürnberger Hallern, von denen ein Zweig nach Siebenbürgen auswandert und dort auch das Amt des Grafen von Hermannstadt bekleidet. Die Kinder Imhoff sind aber auch mit den Augsburger Fuggern verschwägert, deren Gesellschaft bald führend im ungarischen Bergbau wird.

Der Nürnberger Ratsherr und Bürgermeister Hans Lemlein ist der letzte der Familie, der in diesem aufregenden wirtschaftspolitischen Spiel zwischen Bamberg/Nürnberg und Böhmen/Ungarn einen wichtigen Posten bekleidete. Er starb 1473, also vor genau 500 Jahren, als das heute 1000-jährige Bamberg gerade halb so alt war wie heute. - (Dieser Schlusssatz stammt aus meinem Vortrag beim Familientag in Bamberg 1973.)

(114)     Quellen zur Geschichte Siebenbürgens, Band 1: Rechnungen aus dem Archiv der Stadt Hermannstadt. Hermannstadt 1880. - In diesen 1467 einsetzenden Rechnungen findet sich kein Lemmel.

(114a)     Státni Okresny Archív Ziar nad Hronom (= Staatl. Kreisarchiv Ziar an der Gran), pobocka Banská Stiavnica (Zweigstelle Kremnitz), Archivfond Magistrat der Stadt Kremnitz, Abt.I, Gruppe 1., Fasc.1, Urk.39a. Mtlg Dir. Mikulás Celko 1991 nebst Fotokopie.

(114b)     Státni Okresny Archív, Banská Bystrica, Urkunde vom 25.9.1467, Fotokopie 1991 durch Dir. Peter Hamala. - Bezirksarchiv Ziar nad Hronom, Sign.I Abt.36 Angelegenheitsgruppe Bd.I lfd.Nr.22. Mtlg Dir. Mikulás Celko 1991 nebst Fotokopie.

(115)     Richard Klier: Nürnberg und Kuttenberg. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg. Band 48, 1958, Seiten 51-56. Und: Mitteilung von Wolfgang von Stromer.

(116)     Lemmel, Herkunft (5), Seite 163 und Tafel 5.

(117)     Stadtarchiv Bamberg, Nürnberger Patrizier-Urkunden, Rep. A 102 Lade 426, Nr.634 - Herrn Stadtrat Hans Paschke danke ich sehr für die Mitteilung dieser Urkunde. - Das Siegel Hans Lemleins ist kaum zu erkennen, vielleicht zeigt es ein aufsteigendes Lamm.

(118)     Lemmel, Herkunft (5), Seiten 153ff. - Und: Helmut Freiherr Haller von Hallerstein: Größe und Quellen des Vermögens von hundert Nürnberger Bürgern um 1500. In: Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte Nürnbergs, Band 1, Nürnberg 1967, Seite 117.

Anhang: Regesten und Urkunden


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 20.2.2024

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